Als ich Musik gemacht habe, Teil III
29. Januar 2011
Die historische Betrachtung meiner Hitproduzenten-Tätigkeit geht weiter! Nach den ersten Technik- und Klangexperimenten unter den Projektnamen DJ Skydancer und Unknown Future war es nun an der Zeit, massenkompatible Popmusik zu produzieren, um reich und berühmt zu werden. Im Herbst 1996 blieb einem damals 17-jährigen Gerrit also kaum etwas anderes übrig, als eine Boygroup zu gründen – der Zeitgeist erforderte es. Zusammen mit meinem Schulkollegen Johannes ersannen wir auf Kinderbetreuungs- und Klassensprecherfahrten die Idee einer Zwei-Mann-Boygroup mit dem Namen 2 Boys 4 Love, die ebenso eingängige Songs herausbringen sollte wie Caught In The Act. Als Gerry und Joey wollten endlich auch wir zehntausende weibliche Fans haben!
Warum gerade CITA? Es gab damals doch auch schon die wesentlich besseren Backstreet Boys! Nun, die BSB hatten mit [Max Martin)] einen wirklich genialen Produzenten am Start, der die meisten Songs geschrieben und produziert hatte. Und der gesamte Sound von Max Martin war so kraftvoll und neuartig, dass wir ganz genau wussten, dass wir das technisch niemals hinbekommen würden. Caught In The Act hingegen erschien uns sehr leicht zu imitieren: Billige Plastikpopnummern, mittelmäßiger Gesang – das waren realistische Ziele!
Das mit dem Gesang stellte sich übrigens als große Herausforderung dar! Zwar beherrschte mein damaliger Billig-Sequenzer Orchestrator Plus auch bis zu zwei Audiospuren, die halbwegs synchron zu den MIDI-Spuren abgespielt werden konnten (wenn mein Pentium-60 es nicht ab und zu verbockt hätte…), doch der Gesang musste halt trotzdem irgendwie performt werden. Sowohl Johannes als auch ich waren jedoch eher mittelmäßige bis grottenschlechte Sänger, und die Sache mit dem Auto-Tune gab es erst ein paar Jahre später. Unsere Lösung war: Manuelle Nachbearbeitung! Kein Witz: Stundenlang saßen wir da und haben im CoolEdit einzelne missratene Töne um bis zu 10% rauf- oder runtergepitcht.
Was die Songs angeht, war die Devise: 100% selbstgemacht! Es gab keinerlei Coverversionen oder Samples, sondern ausschließlich MIDI-Klänge (siehe Teil II), schlechter Gesang, peinlicher Rap und ab und zu ein Violinen- und Cellosolo, denn das waren die Instrumente, die wir beherrschten. Insgesamt entstanden neun vollwertige Pop-Songs, von denen ich behaupte, dass sie rein songwriterisch gar nicht so übel waren, wenn man bedenkt, dass wir das als Teenager nebenher selber zusammengestrickt haben – ohne Sampledatenbank und fertige Versatzstücke. Wir kannten jeden einzelnen Rimshot, weil wir ihn mit der Maus im Sequenzer an seine Stelle gesetzt haben. Insbesondere Johannes war ein Meister auf dem Sequenzer-Klavier: Er hat Arrangements zusammengeklickt, die kein normaler Mensch mit weniger als 20 Fingern auf einem Masterkeyboard hätte einspielen können!
Unsere Zusammenarbeit sah ungefähr folgendermaßen aus: Wir komponierten beide jeweils unabhängig unsere Songs im MIDI-Sequenzer, und setzten uns dann mit den rohen General-MIDI-Daten (auf Diskette mitgebracht) an meinen Rechner, weil er die bessere Soundkarte hatte, an der man mehr feintunen konnte. Dann schraubten wir gemeinsam an den Klängen und nahmen Gesang oder Instrumente auf – mit zwei unterschiedlichen Kondensator-Mikrofonen, die wir mangels Ständer gerne an ihren Kabeln von der Zimmerdecke baumeln ließen. Naja.
Es entstand so über den Zeitraum von zwei Jahren immer ein Stück nach dem anderen, bis wir dann irgendwann aus dem Boygroup-Schema ausbrechen wollten (dazu später mehr). Wirklichen Erfolg hatten wir eh nicht – Bertel Büring hat mir freundlich, aber bestimmt zu verstehen gegeben, dass unsere Kunst zu trashig war, um im lokalen Radiosender »Radio Gong« gespielt zu werden. Recht hatte er!
Bis heute ist mir nicht ganz klar, mit welchem Selbstverständnis wir 2 Boys 4 Love betrieben haben. Einerseits war es ein Spaß unter Freunden – ein Teenager-Gag. Doch es war auch mehr als das, sonst hätten wir nicht soviel Arbeit und Energie reingesteckt (Tanz! Choreographie! Headset-Attrappen aus Strohhalmen für Vollplayback-Auftritte!). Die Hoffnung, als echte Boygroup entdeckt und ordentlich produziert zu werden, war immer irgendwie präsent, wenn auch nur unter der Oberfläche. Insgesamt war es leicht, sich ironisch als Trash-Persiflage zu präsentieren, weil man sich ohne Gesichtsverlust darauf zurückziehen konnte. Dennoch …
Zum Abschluss hört ihr natürlich noch zwei Werke von 2 Boys 4 Love. Zunächst der allererste Song, mit dem alles begann: Love Is On My Mind
Und dann das letzte Werk aus dieser Reihe, welches produktionstechnisch das Maximum darstellt, was wir mit unserer Hard- und Software leisten konnten – That Thing Called Love