Schriften im Mini-Portrait II

Über zwei Jahre ist es her, dass ich exzellente Freie Schriften portraitiert habe – endlich ist die Dürreperiode überwunden! In der Zwischenzeit haben sich einige andere Blogs und Online-Magazine daran gemacht, lange Listen mit (ihrer Meinung nach) guten Freefonts zu erstellen. Ich habe bei dieser neuen Auswahl wie immer darauf geachtet, dass die Schriften halbwegs mengensatztauglich sind, keine billigen Kopien bekannter Profi-Fonts sind und eine ordentliche stilistische Vielfalt bieten: Von der venezianischen Rennaissance-Antiqua über klassizistische Formen bis hin zu modernen Serifenlosen mit humanistischem oder konstruiertem Charakter ist (fast) alles mit dabei. Ich wünsche viel Spaß beim Lesen, Herunterladen und Testen.

Anivers

Jos Buivenga aus Holland ist in kurzer Zeit zum absoluten Shootingstar der Freefont-Szene geworden. Er hat’s verstanden: Seine durchweg professionell gestalteten und ausgebauten Schriften gibt es teilweise komplett zum kostenlosen Download, teilweise aber auch als Gratis-Appetitanreger, die Lust auf die komplette Schriftfamilie machen sollen. Die schlanke und spiekermanneske Anivers entstand ursprünglich als Jubiläumsaktion für das Smashing Magazine, ist aber inzwischen in vier preiswerten Schnitten bei MyFonts erhältlich.


Droid

Jedem Betriebssytem seine eigene Systemschrift! Google benötigte für sein mobiles Android noch einen Font, der sich speziell auf kleinen Smartphone-Displays gut macht. Ascender Coorporation kennt sich mit sowas aus, vertreiben sie unter anderem doch die ClearType-Schriften von Windows Vista. Die Droid ist platzsparend, gut ausgebaut und verbreitet (naturgemäß) eine neutrale und ausgewogene Atmosphäre – sprich: gar keine. Aber manchmal brauchen wir ja genau das. Der Monospace-Schnitt ist leider keine Beauty-Queen, dafür sind die Serifen- und Grotesk-Schnitte gut aufeinander abgestimmt!


Dustismo

Über den Designer Dustin Norlander ließ sich nicht besonders viel Spannendes herausfinden, seine Dustismo hingegen hat Charakter. Auf den ersten Blick sind die einzelnen Lettern sicher etwas ruppig, aber im Gesamtbild und vor allem in kleineren Schriftgraden ist sie durchaus eine Überlegung wert. Geben Sie ihr eine Chance!


Fontin Sans

Die Fontin Serif habe ich damals im Rahmen der ersten Mini-Portraits bereits vorgestellt – ihre serifenlose Schwester steht ihr in nichts nach. Ganz im Gegenteil: Die organischen Formen machen sich sehr gut und erinnern ein bisschen an Microsofts Candara. Aber irgendwie besser! Ein besonders schönes Detail sind die echten Kapitälchen, und natürlich die Tatsache, dass alle Schnitte kostenlos zu haben sind.


Goudy Bookletter 1911

Das gab’s hier bisher noch nie: Eine venezianische Rennaissance-Antiqua (leicht zu erkennen an dem schrägen Querstrich des kleinen e). Diese Schriftgattung ist sehr anspruchsvoll im Entwurf, deshalb sieht man sie nicht alle Tage. Goudy basiert natürlich auf einem alten Buchdruck von – richtig – 1911, und wird derzeit als PublicDomain-Projekt betrieben. Es soll in Zukunft auch eine passende Kursive geben, worauf man gespannt sein darf.


Grandesign Neue Serif

Wenig bis gar nichts konnte ich über die Hintergründe dieser Schrift herausfinden. Es handelt sich um eine moderne Serifenbetonte, die auf jeden Fall eine gewisse Verwandtschaft zu solchen Schriften wie TheSerif oder Caecilia hegt. Diese sind nun zeitgeistig leider aktuell nicht so wirklich auf der Höhe, aber dennoch schadet es nicht, wenn man auch von dieser Kategorie ein Exemplar in der Fontverwaltung liegen hat. Und bis auf den viel zu fetten bold-Schnitt gibt es bei der Grandesign Neue Serif kaum was zu meckern.


Graublau Web

Etwas ganz besonderes ist die Graublau Web, eine Art Single-Auskopplung der Graublau Pro. Sie kommt aus deutschen Landen und wird von Ralf Hermann als die erste speziell für die Fonteinbettung auf Websites vorgesehene Schrift vermarktet. Wir erinnern uns: Safari 3.1 und Firefox 3.1 können beliebige OpenType-Schriften auf Websites darstellen. Doch nur ganz wenige – darunter eben die Graublau Web – erlauben dies auch explizit. Die Schrift läuft sehr schmal und besitzt eine organische Note, ohne jedoch zu sehr nach selbstgeschnitzt auszusehen. Die fette Variante knallt ziemlich rein, aber tut dies mit etwas mehr Eleganz als die obige Grandesign Neue Serif.


Justus

Die Justus ist eine von diesen historischen Schriften, bei denen es auch kommerzielle Varianten gibt, die auf der gleichen Vorlage beruhen. In diesem Falle ist es die Walbaum, welche den meisten Typografen ein Begriff sein sollte. Die Justus macht ihre Sache nicht wesentlich schlechter und bietet sogar echte Kapitälchen und eine durchaus erträgliche Kursive, was nicht bei allen klassizistischen Antiquas der Fall ist. Wer mal etwas wirklich konservatives oder historisch anmutendes setzen will, sollte sich das mit der Justus mal überlegen. Könnte passen!


Lacuna

Und wieder eine dieser modernen, schlanken und leicht unterkühlten Grotesken: Die Lacuna bewahrt sich dabei eine eigene Note, weil sie einige interessante Details aufweist: Der fehlende Abstrich beim kleinen b, das nach unten flach gebeugte kleine t, und sicher auch die Verbindung der beiden g-Schlaufen. Insgesamt könnte das Schriftbild sicher etwas ruhiger sein, aber das wäre Jammern auf hohem Niveau. Übrigens: Die Lacuna Italic erinnert mich an die Kursive der Trebuchet MS.


Museo Sans

Auf den ersten Blick ist die Museo ein Rip-Off der Avenir, doch ganz ehrlich: sowas würde Jos Buivenga nicht machen. Vielmehr ist seine Museo ein frischer und moderner Ansatz, mit einer Futura-ähnlichen Schrift an den Markt zu gehen, die jedoch nicht konstruiert ist, sondern nur ein bisschen so wirkt. Das gleiche hat Adrian Frutiger 1988 mit der Avenir gemacht. Ich könnte jedoch spontan gar nicht sagen, welche der beiden Schriften nun gelungener ist. Die Museo jedenfalls besitzt eine ganze Reihe an Schnitten, die alle für günstiges Geld bei MyFonts zu erstehen sind. Die regular und die italic hingegen gibt’s kostenlos.