Wahlprogramm-Design-CheckUp 2009

Eine schöne Tradition wird fortgesetzt, und das natürlich passend 9 Wochen vor der Bundestagswahl: Gerrit untersucht die Wahlprogramme der großen Parteien auf typografische (und sonstige) Gestaltungsmerkmale, lässt sich dabei nicht von Inhalten ablenken, und zieht am Ende sein persönliches Fazit, welches jedoch garantiert nicht mit einer Wahlempfehlung gleichzusetzen ist. Wir legen gleich los!


CDU/CSU

CDU/CSU Wahlprogramm 2009

Gestaltungsverweigerung, ick’ hör dir trapsen! Da hat man sich so viel Mühe gegeben, die Kampagnenwebsite hübsch modernboxig und socialmäßig zu gestalten, und kein Funken dieser neuen Trendyness ist für die Gestaltung des Wahlprogramms übrig geblieben. Ich sehe ein 64-seitiges Word-Standard-Layout in DIN A4, ordentlich mit Formatvorlagen umgesetzt, und das war’s auch fast schon. Die schöne CDU-Hausschrift Kievit trifft man ausschließlich auf dem (überraschend nüchternen) Deckblatt an, sowie kurioserweise in der Seitennummerierung oben. Die regulären Seiten sind in Times New Roman, gesetzt und versprühen bestenfalls Manuskript-Flair. Naja. Durch die Antihaltung ist jedoch auch etwas Positives übriggeblieben: Man kann das Dokument ohne Probleme selber ausdrucken, gut lesbar ist es allemal, wenn auch die Zeilenlänge eigentlich etwas zu lang und der Zeilenabstand etwas zu gering geraten ist.

Leider gibt’s keine weiteren Anhaltspunkte, um zu Lästern oder zu Loben – die CDU/CSU entscheidet sich für den unauffälligst möglichen Weg, ein Regierungsprogramm (nicht) zu gestalten. Schade eigentlich!

Note: 4


SPD

SPD Wahlprogramm 2009

Ähnlich einfach auffindbar wie bei der CDU, aber ein ganz anderes Kaliber, was die Gestaltung angeht. Hier saß nicht eine Schreibkraft, sondern ein Setzer am Werk, der sichtlich Probleme gehabt haben muss, den ellenlangen Sozentext in weniger als 100 Seiten im DIN-A5-Format unterzubekommen. Ja, das ist nicht leicht! Zunächst leiden natürlich immer die vertikalen Abstände: Die Gestaltung ist sehr gedrungen und eng, der Grauwert des Fließtextes sehr dunkel, wozu auch die TheSans als Hausschrift beiträgt. Gibt es hier nicht einen Light-Schnitt, den man zum Aufhellen der Textblöcke besser hätte verwenden können? (Immerhin hält man sich dieses Jahr mit den richtig fetten Schnitten etwas mehr zurück als vor vier Jahren.)

Aber es ist ein genereller Trend: Das SPD-Corporate-Design trägt seit einigen Jahren immer dicker auf, was wohl einerseits Selbstbewusstsein und Volksnähe symbolisieren soll, aber in meinen Augen etwas zu prollig und zu wenig elegant wirkt. Das Wahlprogramm ist da keine Ausnahme: Alles ein bisschen zu fett, zu eng, zu 3D-Würfelig. Es bleibt zwar irgendwo im vertretbaren Rahmen, aber man bekommt trotzdem ein leichtes Völlegefühl vom Hingucken …

Eine optimierte Version zum Selberausdrucken wird im übrigen nicht geboten, was schade ist, denn das Layout-Konzept eignet sich dafür prinzipiell prima. Aber vielleicht war die Arbeit mit QuarkXpress 7 (WTF, das gibt’s immer noch?) auch so anstrengend, dass es dafür nicht mehr gereicht hat, ebensowenig wie für PDF-Kapitel-Tags, obwohl das Inhaltsverzeichnis lobenswerterweise mit internen Verlinkungen angereichert ist.

Note: 3


Bündnis 90 / Die Grünen

Gr�ne Wahlprogramm 2009

Die Grünen sprengen mit dem Parteiprogramm den Rahmen – sowohl in Bezug auf Länge (224 Seiten!), als auch im Format: Die PDF-Seiten sind im seltsamen Zwischenformat von 250×190mm angelegt und enthalten je eine Doppelseite – und zwar ohne Trennungslinie in der Mitte. Für den Selberausdrucker etwas befremdlich (und auch nicht umweltschonend, weil eine Menge Platz verschwendet wird.) Der Vorteil: Dank Quasi-Querformat ist das Werk am Bildschirm nicht übel lesbar, wenn auch (mal wieder) der Zeilenabstand zu gering ausfällt, aber das kennen wir ja schon. Die verwendete Hausschrift Syntax ist über jeden Zweifel erhaben, und auch die sonstige Satzqualität kann sich sehen lassen – man spart nicht mit Kolumnentiteln, Kapitelmarken und anderen, übersichtssteigernden Tricks. Vielleicht sogar ein bisschen zuviel des Guten?

Das Titelbild ist einer besonderen Erwähnung wert – hier wird versucht, der inzwischen hochgradig etablierten Partei einen Hauch von Rebellion zu verleihen, indem man auf Sprühschablonen-Optik setzt, ganz nah dran an moderner Streetart. Naja, kann man wohl irgendwie machen, denke ich.

Technisch ist das PDF übrigens gut ausgestattet, es gibt Verlinkungen im Inhaltsverzeichnis und eine ordentliche Kapitelstruktur in den Metadaten. Aber das macht das eingesetzte InDesign CS3 ja auch automatisch, wenn man es richtig bedient.

Note: 2


FDP

FDP Wahlprogramm 2009

Die FDP gibt sich gewohnt spartanisch, verzichtet diesmal sogar auf ein gestaltetes Titelbild, und auch sonst ist man nicht gewillt, die endlose Textwüste auch nur ein kleines bisschen zu bewässern. Also wieder Gestaltungsverweigerung, die nur bei der Wahl der Schrift eine kleine Ausnahme macht: Es wird die Corporate S verwendet – das ist ja bereits mal eine Aussage! Ansonsten ist ähnlich wie bei CDU/CSU keine weitere Gestaltung erkennbar, sieht man vom konsequenten Einfetten der Floskeln Kernaussagen einmal ab.

Für ein Stichwortregister am Ende hat es zwar gereicht, aber eine Verlinkung findet nicht statt – weder im Index, noch im Inhaltsverzeichnis, und schon gar nicht aus dem (mageren) Inhaltsverzeichnis heraus.

Und wieder fällt das Meckern schwer, weil es keine lustigen Angriffspunkte gibt! Eine ordentliche Arbeit der Geschäftsstellensekretärin (übrigens mit Word für Mac erstellt), aber kein werbewirksames, professionelles Druckerzeugnis.

Note: 4+


Die Linke

LINKE Wahlprogramm 2009

Das offiziell Wahlprogramm der Linken war derart schwer auffindbar, dass ich jetzt schon wieder vergessen habe, wo genau ich das PDF herbekommen habe. Wahrscheinlich über eine Google-Suche. Aber egal, das soll hier keine Rolle spielen. Die Linke ist für ihr modernes und professionelles Auftreten bekannt – mir hat die Partei rein visuell immer gut gefallen.

Diesem Ruf wird das diesjährige Wahlprogramm nur teilweise gerecht. Was sofort auffällt ist der zweispaltige Satz, und das auch noch in einem DIN-A5-Format. Das Ergebnis: Extrem schmale Spalten, die mir persönlich etwas zu magazinig wirken. Und natürlich ist der Zeilenabstand zu gering, wie bei allen anderen Programm auch. Der Knaller jedoch ist die Schriftwahl: Genau wie die FDP verlässt sich die Linke auf Corporate S, eine Schrift, die ursprünglich für den Daimler-Konzern entwickelt wurde. Wenn das eine subversive Art ist, es »denen da oben« zu zeigen, dann ist ja gut :-)

Insgesamt stellt sich die Linke designtechnisch zwar professionell auf, ragt jedoch in keinster Weise besonders positiv hervor. Fehlende Verlinkungen und PDF-Kapiteltags überraschen da schon gar nicht mehr. Erschütternd hingegen, dass man aus dem PDF keine Inhalte per Copy&Paste kopieren kann. Das ist doch Kindergarten!

Note: 3


Piratenpartei

Piraten Wahlprogramm 2009

Tja, an dieser Stelle bin ich natürlich befangen, da ich mich selber (als Nicht-Pirat) für eine Neugestaltung des Piratenprogramms eingesetzt habe. Möge jeder selber entscheiden, wie er das im Vergleich findet. Zurzeit gibt es nur die DIN-A4-Version zum Selberausdrucken, doch sollte es ein Budget für eine Offset-Auflage geben, würde ich auch zeitnah eine DIN-A5-Doppelseiten-Adaption daraus basteln können.


Fazit

Insgesamt ist es schade, dass im inhaltlichen Herzstück des Wahlkampfes so wenig Potenzial erkannt wird! Eigentlich wäre es für die etablierten Parteien das mindeste, ihren Programmtext in zwei Varianten anzubieten: Eine DIN-A4-Variante zum Selberausdrucken (mit PDF-Verlinkungen und -Tags), sowie die PDF-Druckversion mit anständigen Doppelseiten und vielleicht etwas mehr Farbe. Es kostet letztlich nicht viel Zeit und Aufwand. Für das Piratenprogramm habe ich insgesamt etwa 4–5 Stunden gebraucht, mit noch mehr Sorgfalt bei den Umbrüchen und Trennungen könnte man vielleicht nochmal 2 oder 3 Stunden draufschlagen. Aber es lohnt sich, denke ich.