Welches Webdesignderl hätten’s denn gern?

Was bin ich

(Foto: BR)

Webdesigner und Journalisten teilen zwei gemeinsame Schicksale: Sie machen »was mit Medien« und tragen eine nicht geschützte Berufsbezeichnung. Letzteres bedeutet, dass sich jedermann nach Belieben so nennen darf, auch ohne entsprechende Ausbildung. Im Falle des Webdesigners kommt noch ein zweites Problem hinzu: Je nachdem, in welchem Zusammenhang und in welcher Branche man den Begriff verwendet, kann man sich durchaus etwas anderes darunter vorstellen.

Um der Sache genauer auf den Grund zu gehen, habe ich vor einigen Wochen meine Leser nach ihren Eindrücken und Vorstellungen befragt, die sie bezüglich des Webdesigners und verwandter Berufe haben. Dabei kamen einige interessante Ergebnisse zustande, die ich hier zum Teil mit einfließen lassen möchte.

Webdesign als interdisziplinäre Tätigkeit

Für den Laien klingt die Sache einfach: Der Webdesigner entwirft Internetseiten. Dummerweise ist die Sache in der Realität ein wenig komplexer. Vor einiger Zeit schon habe ich mal eine Grafik entworfen, die zeigt, wie ich mir das in der Regel vorstelle:

  • Usability
  • Design
  • Technik

(Manchmal ist man geneigt, auch noch den Punkt »Inhalt« hinzuzunehmen, da sowohl Usability als auch Design von redaktionellen Texten und Bildern abhängig ist. Der Einfachheit vernachlässige ich diese Disziplin aber hier.)

Diese Dreier-Aufteilung lässt sich noch weiter differenzieren. Dies könnten möglicherweise die Teilaufgaben sein bei der Umsetzung einer modernen Internetseite:

  • Konzeption (Umfang, Zielsetzung, Sitemap)
  • Informationsarchitektur (Groblayout, Usability)
  • Screendesign (statisch, meist pixelbasiert)
  • Frontend-Entwicklung (HTML/CSS, Dynamisches Verhalten per DOMScripting)
  • Installieren und Einrichten eines CMS
  • Template-Dynamisierung (zur Einbindung in das CMS)
  • Migration auf den Liveserver

Wie man sieht, sind eine Menge an Teilaufgaben zu bewerkstelligen, und man könnte das locker noch weiter aufgliedern. (Bei aufwändigeren Web-Applikationen kommen zudem noch Dinge wie Serverprogrammierung, Datenbankarchitektur und so weiter hinzu.) Je nachdem, wie groß das gesamte Team ist, in dem man als Webdesigner arbeitet, ist auch Anzahl und Umfang der Aufgaben unterschiedlich. Als Freelancer wird man sich selbstverständlich um alle obigen Punkte alleine kümmern wollen. In einem Team von 5 Leuten begnügt sich eine einzelne Person vielleicht wirklich nur mit dem Malen von Screens, eine andere Person ist ausschließlich für den JavaScript-Code zuständig, eine dritte Person kümmert sich um HTML-Semantik und CSS-Umsetzung. Jeder der drei macht etwas komplett anderes. Jeder würde sich aber unter Umständen als Webdesigner bezeichnen.

Und jeder hat Recht – auf seine Weise! Denn vielleicht kommt jeder von einem unterschiedlichen beruflichen Background – Informatik, Grafikdesign, Mediengestaltung, Kommunikationswissenschaft, you name it! Webdesign ist ein klassischer Quereinsteiger-Beruf. Zumal es in der Tat keine staatliche Ausbildung als »Webdesigner« gibt. Ein jeder wurschtelt sich so durch und definiert seine Webdesign-Tätigkeit auf unterschiedliche Art und Weise.

Dies führte dann in der Vergangenheit zu einer Verwirrung über die Fähigkeiten, die man von einem entsprechenden Kandidaten erwarten konnte. Ein Abteilungsleiter mit Informatik-Hintergrund wird sich unter einem Webdesigner eben nicht den pixelschubsenden Mac-User vorstellen und ihn entsprechend auch nicht einstellen wollen, wenn keine intimen Kenntnisse in PHP oder Datenbanken vorhanden sind. In einer Designagentur kann das anders aussehen – da wird man als Bewerber mit einem fundierten Wissen über semantisches HTML und CSS-Browsertricks nicht weit kommen, wenn man von Farben, Formen und Schriften keine Ahnung hat.

Vielleicht liegt in diesen schwammigen Definitionen, falschen Erwartungen und fehlenden Ausbildungen der Grund für den schlechten Ruf, den die Bezeichnung »Webdesigner« hat – vielfach bestätigt durch die Kommentare in meiner Fragerunde. Man muss sich offenbar fast schon schämen, diese Bezeichnung auf seine Visitenkarte zu drucken. Viele weichen von daher auf spezialisierte Begriffe wie »Frontend-Entwickler«, »Webproducer« oder »Interface-Designer« aus. Andere suchen ihr Heil in der Ironie mit »Webmensch« oder »Internetspezialist«. Auch keine wirkliche Lösung.

Frontend, Backend – und das dazwischen!

Wenn man davon spricht, dass sich der Webdesigner (im Gegensatz zum Webentwickler) in erster Linie um Belange des Frontends kümmert, kommt schnell die Frage auf, ob eine Trennung zwischen Frontend und dem Backend heute eigentlich noch Sinn ergibt. Die Antwort ist von meiner Seite ein überdeutliches Jein!

Früher war das vielleicht ein wenig einfacher zu unterscheiden – im Frontend wurde gemalt, im Backend wurde programmiert. Doch seit einiger Zeit wird nun auch von ehemaligen klassischen Frontend-Entwicklern heftig programmiert:

  • JavaScript ist wieder cool und fördert die Usability
  • Ajax verknüpft Front- und Backend viel stärker miteinander als früher
  • Einfache CMS-Lösungen wie Wordpress erlauben auch Nicht-Programmieren das Spiel mit serverseitigen Scriptsprachen und Datenbanken

Weil vieles einfacher geworden ist, gilt das Aufsetzen von serverseitig dynamischen Websites nicht mehr als exklusive Fertigkeit von Backend-Entwicklern, sondern kann oftmals auch von Leuten erledigt werden, die früher nur Pixel geschubst oder Tabellen im Dreamweaver gebaut haben (So lang ist das gar nicht her!). Fraglich nur, ob das sinnvoll ist? Sollte man als klassischer Webdesigner auch noch den Serverpart mitübernehmen? Ich würde sagen: Es ist keine Pflichtübung – und wenn im Team ein Programmierer anwesend ist, ist die Arbeitsaufteilung klar. Aber als Freelancer sehe ich keinen Grund, warum man einfache Aufgabenstellungen im Backend nicht auch selber lösen kann!

Viele Webdesign-Freelancer beherrschen ein paar Brocken PHP oder Ruby on Rails. Damit können sie vielleicht keine komplexen Webapplikationen im Alleingang programmieren, aber für das eine oder andere CMS-Plugin reicht es vielleicht. Solange ein jeder weiß, wo für ihn persönlich Schluss ist mit der Kompetenz – wann man also besser bei einem befreundeten Webentwickler anfragt – gehören einfache Backend-Programmierkenntnisse auch zum Leistungsportfolio eines professionellen Webdesigners hinzu.

Was schließen wir daraus?

Meiner Meinung nach brauchen wir einen staatlich anerkannten Ausbildungsberuf »Webdesigner«, der alle oben besprochenen Teildisziplinen gut abdeckt, dafür Ballast von früher über Bord wirft. Der Webdesigner muss nicht – wie der jetzige Mediengestalter – über Rasterweite und Beschnittzugaben Bescheid wissen, dafür jedoch über hexadezimale RGB-Farben und Subpixel-Rendering. Er betrachtet Typografie stets unter dem Aspekt der Screenfähigkeit. Er hat engagierte Lehrer, die sich weiterbilden und stets aktuelle Techniken vermitteln, keine abgehalfterten Drucktechniker (die aus Unkenntnis im Jahr 2007 noch Tabellenlayouts propagieren). Natürlich muss Kreativität im Screendesign gefördert und nicht bestraft werden. Aber auch Usability und Textarbeit gehören dazu. Es könnte auch zwei Schwerpunkte geben: »Webdesign Gestaltung« und »Webdesign Technik«. Letzterer bekommt noch eine stärkere Dosis PHP, JavaScript und Ruby on Rails verpasst. Ich will das jetzt gar nicht im Details ausarbeiten – man versteht aber wohl, was ich meine.

Meine Güte, hätte es sowas 1999 bereits gegeben, hätte ich mir das mit dem Mediendesign-Studium nochmal überlegt. Für’s erste wäre es exakt das Richtige gewesen. Und ein Studium kann man ja immer noch dranhängen, gerade in der verkürzten Bachelor-Form, die sich ja schon weitestgehend durchgesetzt hat.

Doch ganz abgesehen von dieser Forderung: Ganz persönlich bin ich mit der Bezeichnung »Webdesigner« recht glücklich. Er beschreibt kurz und prägnant, was ich mache: Ich designe das Web, zumindest Teile davon. Wobei ich den Begriff »Design« hier in der erweiterten Bedeutung verstanden wissen möchte – denn es geht über das reine Styling hinaus. Design ist mehr als nur »hübsch machen«. Design umfasst auch Konzeption und Konstruktion. Im Englischen versteht man das noch etwas eher – hier ist es selbstverständlich, dass auch Ingenieure sich als Designer sehen: »I’ve designed this bridge-construction« – da hat jemand nicht nur die Farbe für den Lack rausgesucht, sondern die Brücke auch wirklich komplett erdacht und konstruiert, so dass es hält und keine Autos ins Meer fallen.

Mir ist klar, dass dieser Artikel nicht alle Aspekte des Themas umfasst. Er dient auch mehr als Stichwortgeber und soll zum Sinnieren anregen. Von daher freue ich mich sehr über konstruktive und kritische Kommentare!

update am 13.8.2007: Auf 456 Berea Street gibt’s auch einen feinen Artikel zum Thema: Are we designers or developers?