Gerrit macht sich frei – Teil 5: Das erste Jahr

Ein Jahr selbstständig, wer hätte das gedacht? Nun, ich eigentlich schon, denn wenn ich nicht die Aussicht gehabt hätte, mindestens ein Jahr durchzuhalten, hätte ich den Sprung nicht gewagt. So aber ist es zu einer der besten Entscheidungen geworden, die ich in meinem Leben getroffen habe. Und das kann ich ja wohl beurteilen, oder?

Das erste, was ich bei meinem kleinen Rückblick machen möchte: Mich bei allen Kunden bedanken, die an mich geglaubt haben. Und ihnen ein Lob aussprechen: Es war toll mit Euch! Ich hatte das seltene Glück eines Freiberuflers, dass kein einziges meiner Projekte über eine direkte Akquisetätigkeit zustande gekommen ist. Stets ward Ihr es, liebe Kunden, die auf mich zugekommen seid und schon vor Projektstart auf mich und meine Leistung gezählt habt. An dieser Stelle möchte ich insbesondere Sascha und Wolfgang hervorheben, die bereits Wochen vor dem offiziellen Start meiner Tätigkeit verbindliche, mittelgroße Aufträge gebucht haben, was mir sehr über die erste Unsicherheit hinweggeholfen hat!

Was ich falsch eingeschätzt habe

Es gibt unheimlich viele Angebote, kurzfristig für mehrere Monate in anderen Städten zu arbeiten, um ein großes Projekt gemeinsam mit anderen zu stemmen. Ich weiß nicht, wie andere Freiberufler das anstellen, aber ich konnte so etwas aus logistischen Gründen bisher niemals wahrnehmen, obwohl ich nicht grundsätzlich etwas dagegen hätte. Ich denke, wenn man in dieser Form als Freelancer arbeitet, darf man größtenteils wirklich nichts anderes machen. Ich ziehe es jedoch eigetlich vor, auch in meinen eigenen Räumlichkeiten zu arbeiten und eigene Kunden zu haben.

Dennoch habe ich im letzten Jahr auch einige Aufträge von Agenturen wahrgenommen, bei denen ich aber stets sichergestellt habe, dass ich keine Präsenzzeiten habe und auch sonst relativ eigenverantwortlich tätig bin. Ich liebe meine neu gewonnene Freiheit, weiß aber auch zu schätzen, wenn andere Leute den Kundenkontakt mit doofen Kunden übernehmen :-)

Feste Anstellungsangebote habe ich bisher immer dankend abgelehnt, obwohl da schon einiges dabei war, was mir vielleicht Spaß gemacht hätte. Aber will ich ins stinkende Berlin ziehen? Natürlich nicht.

Was ich richtig eingeschätzt habe

Mir macht Verwaltung Spaß. Und ich wusste, dass es kein Hexenwerk sein würde, das alles selber zu machen. Ich liebe es, den Überblick über die Finanzen zu haben, monatlich meine Spreadsheets auszufüllen, die Rechnungen zu schreiben und zu bezahlen, die Umsatzsteuer auszurechnen, das Geld für die Einkommensteuer auf dem Tagesgeldkonto zu horten.

Allein das wäre für mich ein Grund, keine GmbH zu gründen: Denn in diesem Falle wäre alles viel komplizierter und müsste einem Finanzbüro übergeben werden. So bin ich autark und immer bestens über mein Geld informiert. Über die vielen Unkenrufe von damals kann ich heute nur lächeln: Als Deutschlands Diszipliniertester Designer® weiß ich, wo ich mein Handtuch habe.

Im Ernst: Mein täglicher Arbeitsablauf ist wahrscheinlich strenger als der eines Angestellten. Ich komme zwischen 8.45 und 9 Uhr ins Büro und fange sofort mit E-Mails und Feeds an. Von 13 bis 14 Uhr ist Mittagspause bei SubWay, BurgerKing oder dem Bahnhofsasiaten. Und spätestens um 18:30 Uhr habe ich meine Sachen gepackt und bin auf dem Weg nach Hause. Ich brauche diese Regelmäßigkeit, weil sie mir hilft, den Shit done zu getten. Da ich mich nicht als kreativen Schöngeist, sondern eher als digitalen Ingenieur betrachte, klappt das wunderbar. Und die Abende mit Frau und Freunden sind ebenfalls unberührt. (Abgesehen davon habe ich auch schon im Studium nach 9 Uhr abends nichts mehr auf die Reihe bekommen…)

Was ich gelernt habe

  • Zeit ist Geld. Wenn mir die spontane Anschaffung einer 80-Dollar-Software langes Rumfummeln und Testen mit unausgegorenen Open-Source-Tools erspart, lohnt sich das.
  • Dienstleistungen kosten Geld. Seit einem Jahr zahle ich deutlich bereitwilliger für Automechaniker, Friseure und andere Selbstständige. Wir sind alle im selben Boot, Brüder!
  • Ein Conrad-Laden in Spuckweite des Büros ist enorm praktisch, wenn spontan die Peripherie abraucht!
  • Ich bin ein besserer Menschenkenner als ich dachte. Irgendwie weiß ich meist schon nach einem kurzen Telefonat, welche Art von Website dem Kunden gefallen würde. Oder weiß der Kunde schon vorher, was für Arten von Websites ich mache?
  • Zeiterfassung ist gar nicht so schlimm, wenn man niemandem Rechenschaft schuldig außer einem selbst. In der Agentur habe ich es gehasst. Mit mite macht’s Spaß, meine eigenen Stats zu erstellen und anzugucken.
  • Lieber großzügiger mit Zeiten kalkulieren und dann einen kleineren Stundenlohn berechnen. Meist bin ich schneller als erwartet und freue mich über Extra-Kohle. Pschologisch wichtig.
  • Kunden mögen Leute, die Klartext reden mehr als Leute, die ihnen in den Arsch kriechen. Zumindest solche Kunden, mit denen man auch zusammenarbeiten möchte.
  • Kundenbesuche sind überbewertet. Ich komme größtenteils ohne aus – Telefon, Skype und Screensharing machen’s möglich! Und falls doch mal, dann empfehle ich Tapas-Bars: Mag jeder, und man kann sich gut während des Essens unterhalten.
  • Jeden Kunden höflich fragen, ob eventuell ein festes Budget für das geplante Projekt eingeplant ist. Erspart Missverständnisse.
  • Immer eine Liste mit befreundeten Freiberuflern parat haben, die ähnliche Fertigkeiten besitzen wie man selbst. Wenn man gerade keine Kapazitäten frei hat, freuen sich sowohl Kunde als auch Kollege!
  • Die meisten meiner Website-Projekte kosten zwischen 1.600 und 4000 Euro.

Mein Setup

Ich weiß, dass die Techies unter meinen Lesern gerne wissen wollen, wie mein technisches Setup derzeit aussieht. Here we go:

  • MacBook Core Duo (1st Gen) für unterwegs und im Büro. Ja, das ist immer noch das von der Spendengala.
  • 1600×1200 formac Bildschirm im Büro, verbunden über DVI. MacBook im Büro stets geschlossen – ein Screen reicht völlig!
  • Uralte macalley-Tastatur und billige 10-Euro-Maus
  • brother MFC-210C Scanner-Drucker-Kombi
  • Time Capsule 500GB, per Funk mit dem Mac verbunden. Backups um 13 und 17 Uhr.
  • Drobo (1st Gen) mit 2×750GB als Archivplatte, bisher kaum benutzt
  • Meistbenutzte Software: Safari, Mail, Textmate, Firefox, Photoshop CS3, Transmit, Stickies, MAMP, NeoOffice, Pages, Adium, Skype, Twitteriffic, WriteRoom

Ich träume ab und zu davon, mir einen iMac für’s Büro und einen EEE-PC für unterwegs zu kaufen. Aber eigentlich weiß ich, dass ich mir eh wieder ein MacBook kaufen werde, weil dies alles in einem vereint und der beste und preiswerteste Kompromiss aus allen Welten ist.

Zahlen, Daten, Fakten

  • Gesamte Arbeitszeit vom 01. Okt 07 bis 30. Sep 08: 1143.58 Stunden
  • Durchschnittlich pro Arbeitstag (230 von insgesamt 366 Tagen): 4.97 Stunden
  • Durchschnittlich pro Arbeitswoche (50 von insgesamt 53 Wochen): 22.87 Stunden

Mite-Zahlen

Wie es weitergeht

Zurzeit arbeite ich an mehreren Projekten – manche spannend, andere weniger spannend. Über manche darf und will ich gar nicht reden. Auf jeden Fall ist derzeit nicht abzusehen, dass es anders weitergeht als in den vergangenen 12 Monaten. Und ich freue ich darüber, denn mit dem, was ich derzeit tue, komme ich meinem Traumjob schon ganz schön nahe! Fehlt nur noch eine komplett grüne Wand im Büro mit einem coolen praegnanz.de-Schriftzug drauf und ein Praktikant, die sich in Sachen IE6 super auskennt.