Selbstfahrende Autos
26. Juni 2015
Bei allem Hype, der derzeit insbesondere in der Technik-Szene um das selbstfahrende Auto veranstaltet wird, empfinde ich das Thema auf gesellschaftlicher Ebene immer noch massiv unterschätzt. Aus meiner Sicht gibt es fast nichts Spannenderes! Also hier ein paar Gedanken dazu ins Blog gekippt.
Der Individualverkehr hat gewonnen. Nach all den Bemühungen der ökologischen Kräfte, in den Achtziger und Neunziger Jahren den ÖPNV auszubauen, attraktiver und selbstverständlicher zu machen – und zwar nicht nur für Schüler und Senioren – halte ich für gescheitert. Nach einem Dreivierteljahrhundert Bequemlichkeit und Zeitsouveränität will man mit stinkenden Bussen im Stundentakt nichts zu tun haben. Jedenfalls nicht in mittelgroßen Städten wie Würzburg oder gar auf dem Dorf.
Das eigene Auto ist nach wie vor eine der Standardanschaffungen im Leben eines erwachsenen Nicht-Metropolenbewohners. Dabei geht es jedoch (und das ist doch ein kleiner Unterschied) gar nicht mehr so sehr um das Besitzen und wöchentliche Waschen des Fahrzeugs. Vielmehr ist es uns nach wie vor wichtig, jederzeit innerhalb von wenigen Minuten beschließen zu können, irgendwohin zu fahren. Und dann dies tatsächlich auch spontan machen zu können. Lange Zeit war dies nur mit dem eigenen Automobil möglich – auch moderne Carsharing-Dienste brauchen eine gewisse Planung und Vorlaufzeit.
Das selbstfahrende Auto, wenn es einmal flächendeckend eingeführt ist, kann hier eine verkehrstechnische Revolution heraufbeschwören und quasi nebenbei die Gesellschaft umkrempeln. Wie geht das?
Zunächst die verkehrstechnische Revolution, das ist schon häufig aufgeschrieben worden, ich fasse das kurz zusammen: Die meisten Autos in Privatbesitz stehen 90% der Zeit nur rum und verstopfen Parkplätze, Bürgersteige und ganze Straßenzüge (man schaue sich gewisse Wohnviertel in Frankfurt a. Main an…). Es müsste insgesamt deutlich weniger Autos geben, wenn diese sich selber sinnvoll von einem zum anderen Punkt bewegen können, und dabei einem zentral gesteuerten Plan folgen. Der eigentliche Knackpunkt beim selbstfahrenden Auto ist nämlich nicht so sehr die Tatsache, dass der Fahrer nicht mehr lenken und aufpassen muss, sondern, dass sich das Fahrzeug entsprechend einer Echtzeit-Nachfrage selber an die Stelle bringen kann, an der es genau jetzt gebraucht wird. Das durchschnittliche selbstfahrene Autos aus dem Jahr 2030 wird ziemlich oft kleinere Strecken ganz ohne Passagier zurücklegen, bis es am nächsten Bedarfpunkt angelangt ist. Selbstfahrende Autos sind also eher als allgegenwärtige Taxis zu begreifen, die man sehr günstig und schnell irgendwohin bestellen kann. Das ist ein viel größeres Bild als nur eine blöde Lenkhilfe für die eigene Karre zu sein!
Denkt man das weiter, so kommt man zu erstaunlichen Überlegungen: Wir brauchen keine Führerscheine mehr! Auch Kinder und Jugendliche können sich auf einmal individuell und sicher über kurze und mittlere Strecken in Stadt und Land bewegen. Die berüchtigten „Soccer-Moms“, also Elternteile, die weite Teil ihrer Tages damit verbringen, ihre Kinder von Sportverein A zu Nachhilfeunterricht B zu kutschieren, können sich auf einmal sinnvolleren Aufgaben widmen, wie beispielsweise der Rückkehr in den Arbeitsmarkt. Ein echtes Instrument für die Gleichberechtigung und für die Kids ein großes Stück mehr Selbstständigkeit!
Natürlich wird die Teilnahme an einem solchen automatischen Taxibetrieb nicht kostenlos sein, aber es wird ein wenig wie bei den Social Networks sein: Je mehr Leute sich auf eine Plattform einigen können, desto besser wird diese Plattform arbeiten, denn es können mehr Autos in die Zirkulation gehen, was zu kürzeren Wartezeiten und günstigeren Preisen führt. Am Ende wird es konkurrierende Plattformen geben, die verschieden gut ausgestattete Fahrzeuge für unterschiedliche Zielgruppen anbietet. Man kann Geld sparen, wenn man länger warten kann und kleinere Autos in Kauf nimmt, oder wenn man bereit ist, gewisse Teilstrecken mit anderen Fahrgästen gemeinsam chauffiert zu werden. Je näher das Erlebnis am klassischen Besitzauto ist, desto teurer wird es sein. Je stärker man in Richtung ÖPNV-Feeling tendiert, desto billiger. Aber es wird eben alle Stufen dazwischen geben, das ist der Unterschied zu heute.
Grundsätzlich gilt: „Das“ selbstfahrende Auto in der Einzahl ist Quatsch, es muss in Flotten gedacht werden, die ständig zirkulieren und von komplexer zentraler Logistik gesteuert werden. Segensreiche Zukunft für Softwareentwickler mit Logistik- und Big-Data-Erfahrung!
Wie kleingeistig und ineffizient wirkt dabei die gigantische private Investition von 20.000 oder gar 40.000 Euro in ein eigenes Fahrzeug, welches nach einem Jahr bereit 15% Wertverlust erfährt und nach zehn Jahre quasi verschrottet werden kann, wobei es die meiste Zeit nur rumgestanden war?
Ich bin sehr aufgeregt, eine völlig neue Verkehrslogistik zu erleben, die aber auf dem gleichen Straßennetz passiert wie der jetzige Verkehr, so dass ein Mischbetrieb absolut möglich ist. Ohne eine (lange) Übergangsphase wird es wohl realistischerweise nicht gehen, das ist auch mir klar. Doch am Ende könnte es sein (vielleicht in 30 Jahren?), dass Selbstfahren generell verboten wird. Es ist eh viel zu gefährlich, man beachte nur die 1,2 Millionen jährliche Verkehrstoten weltweit – die meisten davon sind sicher auf menschliches Versagen zurückzuführen! Mit dem Verbot des Selberfahrens können dann auch getrost die meisten Verkehrsschilder und Ampeln abmontiert werden – was für eine visuelle Entschlackung des urbanen Raums, ich kann es tatsächlich kaum erwarten :-)