Schriften fest im Griff

[Anmerkung: Inzwischen sind weite Teile dieses Artikel obsolet geworden, da Mitte September der »Linotype FontExplorer X« erschienen ist und sich an die Spitze der Fontmanagement-Tools setzen konnte – und dabei völlig kostenlos ist. Von daher hat der folgende Text eher musealen Charakter]

[Erstmals veröffentlicht im metamac magazin 47/04 und 48/04]

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Schriftsatz-Icon

Schriftverwaltung auf dem Mac war unter den Classic-Systemen immer eine übersichtliche Angelegenheit. Es gab die Anhänger von Adobe Type Manager (ATM) und die Fans von Extensis Suitcase. Beide Programme hatten die gleichen Funktionen und eine gleichgroße Nutzergemeinde. Nie schaffte es einer der beiden, den anderen abzuhängen. Alternative Software wie »Font Reserve« von DiamondSoft hatte eher wenig Chancen, auf einen grünen Zweig zu kommen.

Als Mac OS X auf den Markt stürmte, änderte sich das Bild schlagartig: Adobe weigerte sich bewusst, ATM für das neue System zu adaptieren und verwies im Web sogar eine Zeit lang auf das ehemalige Konkurrenzprodukt. Extensis schien damit, langfristig gesehen, der Gewinner im Duell zu sein. Doch ganz allein auf weiter Flur war man ja auch wieder nicht: »Font Reserve« konnte nun doch einige Marktanteile für sich gewinnen, außerdem kam ein neuer Mitbewerber ins Spiel: FontAgent Pro. Völlig unbekannt war dieser jedoch nicht, denn der Hersteller »Insider Software« brachte seit geraumer Zeit die Schriftreparatursoftware »FontAgent« heraus. Erweitert um ein »Pro« im Namen und komplett in Cocoa gebaut, verlieh man der Applikation auch Verwaltungs- und Aktivierungsfähigkeiten und rüstete sich damit für den Kampf gegen das traditionsreiche Suitcase.

Extensis reagierte genervt auf diese Konkurrenz, kaufte im Juni 2003 kurzerhand DiamondSoft auf und gliederte Font Reserve in die eigene Produktpalette ein. Da kaum eine Softwarefirma zwei ähnliche Produkte parallel betreibt, ist damit zu rechnen, dass Font Reserve in Kürze nicht mehr ausgeliefert wird.

Was mit FontAgent Pro geschehen wird, ist nicht ganz klar: Einerseits hat Insider Software im November 2002 die letzte Pressemitteilung verfasst. Andererseits erschien im Sommer diesen Jahres die neue Version 2.1. Vielleicht einfach nur schlechtes Marketing? Wie dem auch sei: Hoffen wir, dass der Markt für Schriftverwaltung am Mac lebendig bleibt, denn was Apple mit der »Schriftsammlung« in Panther abgeliefert hat, ist wirklich nicht der Rede wert. Und unter diesem Aspekt sehen wir uns die drei Kandidaten einmal genauer an.

Extensis Suitcase X1

Klassiker neu aufgelegt

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Icon von Suitcase X1

Wie schon in der Einleitung erwähnt, ist Extensis Suitcase der Großvater aller Schriftverwaltungsprogramme auf dem Mac. Seit den späten achtziger Jahren tummeln sich diverse Versionen dieser Software auf den Festplatten der Artdirektoren und Schriftsetzer. Die Version X1 ist lobenswerterweise komplett in Cocoa verfasst und somit homogen in Mac OS X integriert, was Optik und Technik angeht. Während Suitcase 10 ziemliche Probleme mit der Stabilität aufwies, kann man die »Elfer«-Version bedenkenlos einsetzen. Sie ist hübsch, übersichtlich und sehr flott in der Ansprache. Einzig das Initialisieren nach einem Neustart des Systems dauert viel zu lang.

Das Hauptfenster ist in die drei klassischen Bereiche eingeteilt: Eine Liste der erstellten Schriftgruppen, eine filterbare Liste der installierten Schriftsätze und eine Vorschau der markierten Fonts. Zusätzlich dazu gibt es eine Sidebar, die die praktischen Keyword-Funktionen enthält. Einerseits werden hier Schriftattribute wie »Bold« oder »Condensed Italic« aufgelistet, anhand derer man in der Gesamtliste sucht. Zusätzlich kann man selber Stichwörter definieren und seinen Fonts zuordnen, so dass sehr einfach iTunes-ähnliche Suchabfragen möglich sind. Das lässt sich zwar prinzipiell auch über das Anlegen von Schriftgruppen (Sets) lösen, doch mit Keywords ist es oftmals schneller und flexibler.

Screenshot von Suitcase X1

Natürlich beherrscht Suitcase alle Standard-Funktionen aus dem Eff-Eff: Viele wurden ja von Extensis einst selber erfunden. Die automatische Aktivierung sollte systemweit kein Problem darstellen: Jede Applikation kann eine beliebige installierte Schrift anfordern, die dann prompt aktiviert wird. Bei Problemfällen wie QuarkXPress oder InDesign, die jeweils eigene Schnittstellen zur Schriftverwaltung nutzen, gibt es spezielle PlugIns, die die Auto-Aktivierung auch hier ermöglichen. Das Handling von doppelten Schriften oder verschiedenen Versionen der gleichen Schriften ist ebenfalls sehr übersichtlich und transparent.

Für spezielle Zusatzfunktionen liefert Extensis übrigens ganz pragmatisch Software von Partnerfirmen mit. »FontBook« von LemkeSoft (Nicht zu verwechseln mit der englischen Bezeichnung für Apples »Schriftsammlung«) kümmert sich um schöne Schriftmusterblätter, die man aus vielen Vorlagen auswählen kann. Und Font Doctor ist dafür da, – richtig – beschädigte Schriften wieder zu reparieren.

Für Firmen oder große Agenturen besteht die Möglichkeit, Fonts über das Netzwerk zu verwalten. Mit »Suitcase Server« können Systemadministratoren genau regeln, wer welche Schriften wann zur Verfügung haben soll. Die »normalen« Versionen von Suitcase können also auf einen zentralen Server zugreifen, auf dem die entsprechende Software installiert ist und die ihnen zugeteilten Fonts aktivieren.

Fazit: Der Platzhirsch muss mit Sicherheit nicht um seine Marktanteile fürchten. Die gelungene Version X1 zeigt, wie man durch native OS X-Programmierung auch Programme mit einer großen Tradition modern aufpolieren kann. Ganz nebenbei bemerkt ist Suitcase auch das einzige der drei vorgestellten Programme, das vollständig in Deutscher Sprache angeboten wird. Es kostet 109 Dollar und dürfte in jedem gut sortierten Mac-Softwarehaus angeboten werden. Suitcase Server schlägt mit mächtigen 999 Dollar zu Buche. Eine 30-tägige Testversion steht bei Extensis zum Download bereit.

Font Reserve 3.1

Der bedrohte Sortierkönig

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Icon von FontReserve

Dass inzwischen Extensis der Herausgeber von FontReserve ist, wird bei der Inbetriebnahme nicht gerade deutlich: Das Handbuch im PDF-Format ist jedenfalls noch auf dm alten Stand und kennt nur DiamondSoft als Ansprechpartner. Auch sonst scheint Extensis die Software aufgekauft und dann einfach eingefroren zu haben: Die aktuelle Version 3.1.3 wurde im Januar 2004 veröffentlicht, wirkt aber trotzdem noch sehr unausgegoren.

Bereits beim Setup wird die technische Basis des Programms deutlich: Es ist eine Mac OS 9-Entwicklung, die zeitsparend »carbonisiert« wurde und nun auch unter Mac OS X ihren Dienst verrichtet. Dementsprechend wirkt die Oberfläche, die Buttons und die Icons ziemlich verstaubt und kaum Aqua-gerecht. Alles ist eher umständlich zu bedienen und nicht gerade übersichtlich platziert. Besonders nervig: Das Scrollrad von Mehrtastenmäusen wird überhaupt nicht unterstützt.

Es gibt einige Besonderheiten, die Font Reserve dennoch zu einem interessanten Produkt machen. Da wäre erst einmal die Datenbank. Jawohl, alle in Font Reserve importierten Schriften (Systemschriften ausgenommen), landen nicht in einer Ordnerstruktur, sondern in einer Datenbank, auch »Vault« genannt. Und demensprechend fühlt sich auch das Organsieren der Fonts an: Man kann verschiedene Filter mit spröden Bezeichnungen aktivieren und somit die Liste der angezeigten Schriften definieren. Dabei werde ich irgendwie das Gefühl nicht los, eine SQL-Abfrage zu starten. Doch flexibel und mächtig ist diese Suchmethode allemal. Außerdem interessant: Die direkte Anbindung des Font-Browsers an den Online-Service myfont.de. Hier kann man Schriften über das Netz suchen und kaufen, bevor man sie dann lokal verwaltet. Cleverer Service oder agressives Cross-Marketing? Wohl Geschmacksache.

Screenshot von FontReserve

Lobend erwähnen muss man auf jeden Fall den Detailreichtum, der Font Reserve auszeichnet: Man kann sich zum Beispiel von jeder Schrift den kompletten Zeichensatz und sogar die Kerningtabelle anzeigen lassen. Außerdem gibt es eine sehr umfangreiche Liste von Schriftherstellern, mit denen man seine Schriften »taggen« kann. Natürlich arbeitet Font Reserve mit Schriften-Sets, die man auch exportieren kann, um sie zu Archivzwecken einem Projekt beizulegen. Insgesamt kann der Benutzer in Font Reserve unglaublich vieles einstellen und regeln (fast wie bei einer Windows-Applikation). Dabei bleibt zwar die Bedienungsfreundlichkeit ziemlich auf der Strecke. Doch für Leute, die täglich mit sehr vielen Schriften hantieren, sind die umfangreichen Sortierungsfunktionen durchaus hilfreich. Die automatische Aktivierung von Schriften ist im Übrigen auch gewährleistet; Gerade was Fonts im Classic-Modus angeht, kann Font Reserve hier noch ein paar Punkte gut machen.
Die Verwaltung von Schriften über das lokale Netz wird über »Font Reserve Server« geregelt, einer Server-Applikation, die unrealistisch viel Geld kostet, jedoch viele Funktionen für Administratoren bereit hält. Das gleiche Prinzip bietet ja auch Suitcase Server. Beide lohnen sich aber nur für Netzwerke ab etwa 50 Teilnehmern.

Fazit: Font Reserve ist ein Auslaufmodell, das zwar durch seine Funktionsvielfalt zu bestechen weiß, jedoch leider sehr unergonomisch, unübersichtlich und altbacken daherkommt. Die Einzellizenz kostet 99 Dollar, Font Reserve Server ist für 1099 Dollar zu erwerben. Allerdings bietet Extensis die Produkte nicht mehr im eigenen Online-Shop zum Kauf an. Man muss also sein Glück beim Software-Händler seines Vertrauens versuchen. Oder kann erst einmal 30 Tage kostenlos testen.

FontAgent Pro 2.1

Der sympathische Außenseiter

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Icon von FontAgent Pro

Der Einstieg in FontAgent Pro beginnt mit der etwas nervigen Frage nach dem zukünftigen Speicherort für die noch zu importierenden Schriften. Als ob es unter Mac OS X nicht schon genügend Orte gibt, wo irgendwelche Fonts lagern könnten! Doch FontAgent Pro übernimmt beim Import eben die volle Kontrolle. Die gewünschten Schriften werden nicht etwa nur kopiert/verschoben, sondern auch noch hübsch nach dem Alphabet sortiert in frische Order gesteckt (26 an der Zahl), und gleich auf Fehler, Doppelungen und andere Probleme hin geprüft. Wird ein Makel gefunden, finden sich die entsprechenden Schriftsätze im Ordner »Problem fonts« wieder und können repariert werden. Die möglicherweise sorgsam eingerichtete Verzeichnistruktur kann man dann zwar vergessen, aber dafür ist das Programm immerhin so klug und steckt beispielsweise die »ITC Garamond« automatisch in den »G«-Order, zusammen mit der »Adobe Garamond«.

Hat man diese Eigenmacht erst einmal verdaut, macht sich Entzücken breit: FontAgent Pro ist ein reinrassiges Cocoa-Program, das mit einer »Single-Window-GUI« auskommt, die sofort zu begreifen ist und trotzdem alles an Funktionen bietet, was man im täglichen Umgang benötigt. Man kann mehrere Bibliotheken verwalten (die dann auch getrennte Ordnerstrukturen besitzen), und innerhalb der Bibliotheken die üblichen Schrift-Sets anlegen.

Screenshot von FontAgent Pro

Das Programm arbeitet angenehm flott: Der Import (samt Überprüfung) dauerte nur ca. 6 Minuten für 3200 Schriften. Auch das Navigieren, Beurteilen, Vergleichen und Zusammenstellen geschieht ohne nennenswerte Verzögerungen und ist, nebenbei bemerkt, auch sehr übersichtlich und angenehm zu handhaben. Einzig die WYSIWYG-Anzeige der Fontliste (Jeder Schriftname erscheint in seinen eigenen Buchstabenformen) ist verständlicherweise etwas träge – und auch viel zu klein, um sinnvoll eingesetzt zu werden.

Was die Funktionen angeht: Der Hersteller Insider-Software brüstet sich auf seiner Website damit, besser und umfangreicher zu sein als die Mitbewerber. Besonders Suitcase wird aufs Heftigste beschossen, aber auch Font Reserve kriegt gehörig sein Fett weg. Dummerweise beruht der Vergleich auf dem Versionsstand von 2002. Fakt ist jedoch nach wie vor: FontAgent Pro bietet dem User alles, was man für die Schriftverwaltung brauchen kann: Systemweite automatische Aktivierung von Schriften (auch in XPress, InDesign und Co.), differenzierter Umgang mit fehlerhaften Schriften, bei Bedarf Verwaltung der Systemschriften und einige praktische Exportfunktionen. Die Druckfunktion wird nicht sonderlich angepriesen, ist sie doch eher rudimentär. Das reicht für den schnellen Check auf Papier, doch um ein hübsches Archiv zum Blättern zu erstellen, muss man leider zu anderen Tools greifen.
Besonders positiv sticht heraus, dass ­FontAgent Pro für das Verwalten von Schriften über das Netzwerk nicht noch eine sündteure Server-Version benötigt. Getauscht wird dezentral über Rendezvous, was gerade in kleineren Netzwerken für eine große Erleichterung sorgt.

Fazit: FontAgent Pro ist eines dieser cleveren, nativen Mac OS X-Programme, die schlank und schnell den Workflow verbessern, mächtige Funktionen besitzen, und deshalb völlig zu Unrecht eher unbekannt sind. Man kann FontAgent Pro kostenlos 30 Tage lang testen, muss danach aber 99.95 Dollar für eine Einzellizenz zahlen. Wenn man Schriften über das Netzwerk verwalten möchte, sind 30 Dollar mehr pro Installation fällig.