Gedanken über Künstler und die Digitalkopie

Egal ob Regener oder Tatort-Autoren – man muss sich dieser Tage immer wieder wundern. Nicht zwingend aufregen oder verfluchen, aber ganz stark wundern, wie wenig die traditionell denkende »Autorenschaft« mal einen Schritt zurücktreten kann in der Situation rund um Urheberrecht und Digitalkopie, um sich das alles aus einer globaleren Perspektive anzusehen. Sie würde erkennen, dass ein Künstler eben kein automatisches Recht darauf hat, von seiner Kunst leben zu können. Warum auch? Wenn das so wäre, würden wir vermutlich alle Künstler werden!

(In einer alternativen Realität hätte ich vor 12 Jahren meine Design-Aufnahmeprüfung nicht geschafft. Und ich hätte mich als Musiker bezeichnet und meine grottenschlechten Songs auf Platte gepresst und alle verklagen lassen, die sie rippen und im Netz getauscht hätten. Nach heutiger perverser Praxis wäre das wohl irgendwie okay. Moralisch oder realitätsbezogen ist es nicht.)

Woher kommt diese Anspruchshaltung der Vollzeitkreativen? Sie werfen den Internet-Nutzern (sind sie selber eigentlich keine?) deren Kostenloskultur vor, treten aber selber für die selbstverständliche Vergütung Ihrer Werke ein, auch wenn diese unter Umständen gar nicht gehört werden.

Ich bin des 30 Jahre alten Pseudoarguments müde, nachdem sich die Kids alle ihre Songs/Computerspiele/Filme kaufen würden, wenn sie sie nicht kopieren könnten. Songs werden heute festplattenweise auf dem Schulhof getauscht. Ihr glaubt doch nicht wirklich, dass ein 13-Jähriger in der Lage ist, 120 GB an Musik tatsächlich zu hören? Und fürs gemeinschaftliche Backupen der digitalen Songdateien sollen fünfstellige Strafgebühren fällig sein?

Wenn vergütet werden soll, dann bitte nach tatsächlicher Nutzung, nicht nach reiner Verfügbarkeit. Spotify und Co. machen es derzeit vor. Aber die Menschen haben schon seit einigen Jahrzehnten die Möglichkeit, kostenlos und legal Musik zu hören, nämlich über das Radio. Das geht jetzt zwar alles ein bisschen gezielter und einfacher, und meinetwegen hat sich die Art und Weise, wie wir das Musikhören bewerten und zelibrieren, auch gewandelt. Aber grundsätzlich kostenlos Musikhören kann man seit den 1950er Jahren. Sollte das Internet und MP3 morgen verschwunden sein, hören die Kids halt wieder nur Radio und MTV und kaufen genauso wenig Musik wie aktuell. Hören und Bezahlen waren nie so direkt miteinander verbunden, wie uns die Musikindustrie immer glauben lässt. Wer es sich leisten konnte und wollte, zahlte. Wer nicht, nicht.

Und überhaupt: Künstler lebten in den letzten 80–90 Jahren in einer für sie extrem vorteilhaften historischen Sondersituation, die aber eine Übergangsphase darstellte: Sie mussten keine »Originale« mehr schaffen (in Form von Livekonzerten, Ölgemälden, Partituren …), sondern konnten auch mit der Herstellung von physischen Kopien Geld verdienen (Vinyl, CD, Notenblätter …). Diese Phase geht gerade vorüber, denn die physischen Kopien weichen den digitalen, und diese können technisch eben ohne nennenswerten Mehraufwand beliebig kopiert und verbreitet werden. Das kann man doof finden, oder auch einfach Fortschritt. Man kann die alten Zeiten (die gar nicht so alt sind!) und seine Sondersituation politisch zurückfordern, oder sich was anderes ausdenken.

Zum Beispiel könnte man sich alte und neue Formen für »Originalwerke« zu Nutze machen. Livekonzerte sind im Popbereich seit einigen Jahren stärker im Kommen als je zuvor (Deichkind macht damit 80% Ihres Umsatzes). Oder halt die handsignierte Superedition des neuen Albums, à la NIN. Oder was spricht gegen eine Versteigerung der Mastertapes eines beliebten Songs? Oder des Skizzenbuchs, wo dessen erste Textideen angeskribbelt sind? Auf jeden Fall Dinge, das das Herz eines Fans höher schlagen lassen.

Und genau darum geht’s: Lasst eure Fans die Mäzene sein! Eure Songs mögen zwar im Spartenradio gespielt werden, ihr mögt auch auf der 120-GB-Schulhoffestplatte mit dabei sein; doch richtige, geldwerte Anerkennung bekommt ihr eh nur von den richtigen Fans. Die sollen ruhig blechen, denn die machen es gerne und freiwillig und wissen, dass es eure Kunst sonst vielleicht nicht gäbe.

Übrigens: Wer als verkaufender Künstler auch noch Labels und Verlage umgeht, streicht statt 5 Prozent des Verkaufspreises bis zu 70 Prozent ein, je nach Vertriebsplattform. Es muss also nicht immer Massenmarkt sein. Manchmal reicht auch eine steile Nische, um auf seine Kosten zu kommen.

Trotzdem führt das alles, ganz klar, zu einem stärkeren Wettbewerb um die Gunst der Fans und deren Geld. Aber wer hat denn gesagt, dass man sich nicht anstrengen muss? Ganz ehrlich: Richtig gute Kunst wird immer seine zahlende Fans finden. Und schlechte Kunst, tja, die hat dann eben kein Anrecht darauf, seinen Schöpfer ernähren zu können. Flurbereinigung in einer vor Kultur sowieso strotzenden Welt.

Denn um Buntheit und Vielfalt in der Kulturlandschaft müssen wir uns nun definitiv keine Sorgen machen: Kultur zu schaffen ist ein Grundbedürfnis vieler Menschen, man muss das nicht zwingend professionell machen. Anders als früher nämlich, als man ohne Geld nichts publizieren konnte, ist das heutzutage viel einfacher möglich. Ergo: Hobbykünstler sein war nie so cool wie heute!

Meine Ideen zum Urheberrecht

Was ganz konkret das Urheber- und Verwertungrecht angeht; Dazu hätte ich übrigens auch noch ein paar Stichworte zu sagen:

  • Weil heutzutage viel mehr Menschen Urheber und gleichzeitig potenzielle Urheberrechtsverletzer sind, muss dieser ganze Rechtskomplex deutlich leichter zu begreifen sein. Dinge, die alle angehen, müssen einfach sein.
  • Urheberrecht und Verwertungsrecht sollten vereint werden. Sie werden eh ständig in einen Topf geschmissen, und ich sehe die Unterscheidung nur begrenzt ein.
  • Dieses vereinigte Copyright sollte für jedes Werk automatisch 5 Jahre gelten (sofern der Autor keine andere Lizenz dafür proklamiert).
  • Nach den ersten 5 Jahren kann das Copyright eines Werkes jeweils für 3 Jahre erneuert werden (gegen eine angemessene Verwaltungsgebühr), bis maximal zum Tode des Autors.
  • CC-Lizenzen und klassisches Copyright stehen als freie Wahlmöglichkeit nebeneinander. Verstöße werden mit fairen Methoden auch im Netz konsequent geahndet. Eine Deckelung der Strafgebühren muss dabei aber verhindern, dass Abmahnen ein Geschäftsmodell für Verwerter bleibt.
  • Die GEMA (und ähnliche Organisationen) muss umstrukturiert und vereinfacht werden. Sie sollte als Statistikdienstleister und Treuhändler fungieren, bei dem die Künstler nach Wunsch einzelne Songs anmelden können. Die GEMA-Vermutung muss sterben. Die Trennung zwischen Supermitgliedern und Fußvolk muss aufhören.

tl;dr

Von nichts kommt nichts. Alle Künstler müssen sich anstrengen, um Fans und Geld zu erhalten, indem sie mehr tun als nur Platten aufnahmen und Bücher schreiben: Selbstvermarktung wird zur Pflicht. Die Sorge um zu wenig Kultur ist unbegründet. Ein vereinfachtes Urheberrecht hilft, Missverständnisse und verhärtete Fronten aufzulösen.