Stefan Raab, Lena und der Eurovision Song Contest
18. Februar 2011
Ich kann mit diesen ganzen Raab-Songs ja nichts anfangen, und das seit Jahren! Ich verstehe auch gar nicht, warum es den meisten Leuten nicht aufzufallen scheint, wie langweilig und austauschbar die meisten Kompositionen sind, die Stefan Raab in seiner Karriere produziert hat! Natürlich kann jeder ein paar davon aufzählen, angefangen mit »Böördi Vogts«, »Hier kommt die Maus«, »Maschendrahtzaun«, »Waddehaddeduddeda«, »Guido hat euch lieb«, usw. Alle diese Songs imitieren Soul-, Disco- oder Funkmusik auf eine sehr antiseptische und glattgeschliffene Weise, spielen mit den ständig gleichen kleinen Effekthaschereien und Kniffen, und sind so weit weg von Wiedererkennbarkeit und Zeitgeist, dass man wirklich erstaunt sein muss, wie viel Genialität Stefan Raab auch als Komponist immer noch zugesprochen wird!
Der Grund dafür ist natürlich, dass Lenas Mentor einige extrem populäre Lieder auf für sich verbuchen kann, doch dieser Erfolg hat jedes Mal auf signifikante Weise mit Klamauk zu tun; Die flockigen Fahrstuhl-Funkrhythmen dienten letztlich immer nur – als wenig störende Begleitung – dem albernen Klamauk, der im Text oder in der Performance stattfand.
Der einzige erfolgreiche Song, bei dem Raab als ernsthafter Musiker tätig war, dürfte »Can’t Wait Until Tonight« sein, den Max Mutzke im Jahr 2004 beim Eurovision Song Content gesungen hat – ein wahrhaft schönes und ernstzunehmendes Lied, was seinen damaligen guten achten Platz verdient hat. Alle anderen vermeintlichen Erfolge waren lediglich Musikattrappen, bei denen die eigentliche Komposition nur begleitende Funktion besaß.
Mal am Rande: Ich finde es generell immer schade, wenn ich in Casting-Shows wirklich begabte Sänger sehe, die eindeutig einen bestimmten Stil haben, in dem sie zuhause sind. Kaum als Sieger gekrönt, werden ihnen vom Hofkomponisten dann Songs vorgeschrieben, die mit diesem Stil gar nichts mehr zu tun haben, sondern nur das widerspiegeln, was ein Bohlen oder Raab eben drauf haben. Besonders tragisch war dies meines Erachtens bei Mark Medlock, der sich als wirklich toller Soul- und Funksänger mal lieber mit Mousse T zusammengetan hätte, als seichten Hausfrauenpop von Dieter Bohlen zu präsentieren. Aber auch Lenas erstes Album ist deshalb kein richtiger Hit gewesen, weil zu wenig von den inspirierenden Klängen drinsteckte, mit denen sie uns letztes Jahr bei den Vorausscheiden begeistern konnte.
Doch zum heutigen Abend in der ARD! Interessanterweise entsprach die Song-Reihenfolge beinahe genau meiner persönlichen Präferenz! Es begann mit zwei sehr gesichtslos-fröhlichen Popnümmerchen, die so schnell vergessen waren, wie sie ins Ohr gingen. Dann mit »Push Forward« eine überraschend starke, sehr kühle Ballade, bei der Lena präsent die Bühne in Besitz nahm. Dann die massentaugliche, unvermeintliche unvermeidliche Raab-Nummer (siehe oben), für die die fragile Lena naturgemäß nicht auf die eigentlich benötigte Stimme zurückgreifen kann, und die definitiv nicht genügend Eigenständigkeit besitzt, sondern eher wie ein weichgespültes Potpourri aus 30 Jahren Bigband-Disco-Swing-Soul wirkte – Gute-Laune-Stimmung hin oder her. Ich hätte Nummer 3 und 4 in meiner Gunst-Rangliste getauscht.
Als Nummer 5 konnte mich »A million and one« ganz schön begeistern – ein Nerdpopsong, wie ihn sich Lena schon letztes Jahr beim Vorentscheid ständig ausgesucht hatte: komplexe Harmonien, sehr schneller rhythmischer Beinahe-Sprechgesang in tiefen Tonlagen, interessante Wendungen im Arrangement, so hat das schon Freude gemacht.
Aber lasst uns von »Taken By A Stranger« reden, dem mit großen Abstand innovativsten, modernsten, zeitgeistigsten und coolsten Song des Abends. Und ich bin sehr glücklich darüber, dass es diesem minimalistischen Elektro-Arrangement gelungen ist, über das zu triumphieren, was man vielleicht aus taktischen Gründen hätte wählen müssen. Mit »Taken By A Stranger« hat Deutschland die Chance, entweder würdig und erhobenen Hauptes zu verlieren, oder aber einen tollen Achtungserfolg zu landen. Auf jeden Fall ist es als Titelverteidiger die richtige Wahl: Der Song ist deutlich sperriger als »Satellite«, und dazu noch in eine ganz andere Richtung gehend. Etwaige Vorwürfe, mit einem gefälligen Mainstreamsong auf Nummer Sicher gehen zu wollen, sind damit ausgeräumt! Ein bisschen schade ist es für die Heavytones, da der Song eigentlich keine Livebandbegleitung benötigt – es sei denn, man will für drei Töne Saxofon und zweimal Glockenspiel die ganzen 15 Bigband-Musiker auf die Bühne stellen. Der Rest ist elektronisch, und das ist ja auch mal was.
Glücklicherweise ist Stefan Raab Profi genug, um zu sehen, dass seine Kompositionen keine Chance haben gegen etwas völlig Anderes, Kühles und Modernes. Und ich gratuliere dem Publikum für seinen guten Geschmack, den es bewiesen hat. Wie gesagt: Selbst mit nur wenigen Punkten beim eigentlichen Contest können wir uns auf die Schulter klopfen, die Veranstaltung stilistisch bereichert zu haben.