Publizieren und Kommunizieren
12. Juni 2013
Ich glaube, ich habe am vorletzten Wochenende auf einem Familientreffen herausgefunden, warum die Prä-Internet-Generation solche Schwierigkeiten hat, sich auf das neue Medium einzustellen und an den jungen Leuten verzweifelt. Warum es so ein Problem für sie darstellt, dass »jeder da einfach so seinen ganzen Mist reinschreibt« in dieses Internet.
In der Zeit vor dem Internet waren die Konzepte Publikation und Kommunikation sehr stark voneinander getrennt. Kommunizieren konnte zwar grundsätzlich jeder, aber es war räumlich und zeitlich begrenzt: Man musste sich im selben Raum befinden. Telefonieren war teuer und auf das Zwiegespräch beschränkt. Und Briefe waren sehr langsam. Kommunikation war fast immer gesprochene Kommunikation.
Publizieren hingegen war ausschließlich den professionellen Medien vorbehalten und fand meist komplett schriftlich statt: Zeitungen, Zeitschriften, Bücher. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass es sich bei Publikationen auch um eine Form der zwischenmenschlichen Kommunikation handeln könnte.
Durch das Internet fand hingegen eine zunehmende Vermischung der beiden Dinge statt. Heute lässt sich im digitalen Lebensraum kaum mehr zwischen Kommunikation und Publikation unterscheiden.
Nur ein verrutschter Mauszeiger in Facebook macht aus der Status-Nachricht für einen engen Freundeskreis eine öffentliche Information. Blogs, Tumblers oder Twitter-Accounts können potenziell vom 1 Milliarde Menschen gelesen werden. Das wäre früher eine astreine Publikation gewesen. De facto sind es meist jedoch nur eine Handvoll Freunde, also fällt es eher unter Kommunikation. Erst die Anzahl der Leute, die etwas tatsächlich wahrnimmt, entscheidet, ob es sich um Kommunikation oder Publikation handelt. Und die Faustregel, dass ein geschriebener Text eher Publikation ist, gilt seit SMS und What’s App sowieso nicht mehr. Dass damit gedankliche Banalitäten nicht nur ausgesprochen, sondern auch textlich nachzulesen sind, ist klar. Dadurch werden die Gedanken nicht geistreicher. Aber auch nicht banaler. Nur sichtbarer, nachvollziehbarer. Und natürlich asynchron. Die Themen bleiben gleich.
Aber in den Köpfen der Alten ist das alles noch anders: Warum muss etwas öffentlich geschrieben werden, wenn es doch eine private Information ist? Die Antwort: Weil es einfacher und schneller geht! Und der Unterschied nicht so wichtig. Doch das ist offenbar problematisch und schwer zu verstehen. Der unfassbare Überfluss an potenziellen Lesern von hauptsächlich privaten Nachrichten macht die Alten verrückt. Auch wenn aus den potenziellen Lesern niemals reale Leser werden!
Die Jungen stört das nicht. Sie haben eingebaute Filter für alles Unwichtige. Das Rauschen nehmen sie nicht wahr, sie erkennen die Muster und Codes, wann etwas für sie nicht interessant ist. Im Gegenzug kennen sie die einstige, unüberwindbare Schwelle zur öffentlichen Publikation nicht. Sie wissen nicht, dass es früher ein hohes Privileg war, mehr als ein paar Dutzend Menschen mit seinen Informationen zu versorgen.
Und ich glaube, das brauchen sie auch gar nicht zu wissen. Viel ist gut, denn auch die Filter wachsen mit. Lasst die jungen Leute kommunizieren, auch wenn es euch wie publizieren vorkommt! Die Welt geht davon nicht unter, und eine eigene Stimme in ihr zu haben, kann man nicht früh genug lernen.
(P.S.: Ich muss bei dem Überfluss an potenziellen Lesern immer an die Fortpflanzung in der Natur denken. Die unfassbaren Mengen von scheinbar verschwendeten Samen, Spermien oder Laich sind eine gewisse Parallele. Und nicht die unerfolgreichste, könnte man meinen.)