Progressive TV-Bilder

Wie mir gestern abend beim (selbstverständlich zufälligen) Reinzappen in »Gute Zeiten, Schlechte Zeiten« wieder einmal auffiel, werden neuerdings immer mehr Fernsehsendungen im progressive mode aufgenommen und ausgestrahlt. »Was zum Teufel ist das nun schon wieder?« Ich will versuchen, es zu erläutern:

Wie wir alle wissen, besteht das PAL-Fernsehbild aus 25 Bildern pro Sekunde. Stimmt aber gar nicht! Es besteht, streng genommen, aus 50 sogenannten Halbbildern. Diese ominösen Halbbilder zeigen jeweils nur jede zweite Zeile des Gesamtbildes: Das jeweils erste Halbbild enthält nur die ungeraden Zeilen, während das direkt darauf folgende zweite Halbbild die geraden Zeilen abbildet. Diese Technik heißt Interlacing und bildet die technische Grundlage der Fernsehtechnik.

Davon merken wir als TV-Zuschauer jedoch gar nichts, weil der Abstand zwischen zwei Halbbildern nur 0,02 Sekunden beträgt. Aber es besteht durchaus ein Unterschied zum konventionell gedrehten Film: Hier wird mit 24 Vollbildern pro Sekunde hantiert. Nichts mit Zeilen und Halbbildern: Echtes Filmmaterial besteht – im Gegensatz zum Videobild – aus lauter kompletten Einzelfotografien.

Wenn nun im Fernsehen ein Spielfilm ausgestrahlt wird, so müssen – dem PAL-Prinzip folgend – alle Vollbilder in Halbbilder umgerechnet werden. (Außerdem werden die Filme leicht schneller abgespielt, um von 24 auf 25 Bildern zu kommen.) Dies alles geht nicht ohne Qualitätsverlust. Zwar bleibt die Schärfe des Bildes erhalten, allerdings auf Kosten der Flüssigkeit. Der Abstand zwischen den Halbbildern im TV beträgt normalerweise ja 0,02 Sekunden. Wenn nun beide Halbbilder das gleiche Vollbild beschreiben, sind das jedoch ganze 0,04 Sekunden. Alle Bewegungen, seien es Kameraschwenks oder schnelle Gesten der Schauspieler, wirken dadurch weniger flüssig und direkt.

Nun haben wir uns im Laufe der Jahre daran gewöhnt, dass bei Spielfilmen und vergleichbaren fiktionalen Stoffen umgerechnetes Vollbild-Material ausgestrahlt wird, während bei Live-Sendungen oder Aufzeichnungen Videokameras mit ihren typischen Halbbildern zum Einsatz kommen.

Als der ARD-Tatort vor einigen Jahren mit Videokameras experimentierte, um Kosten zu sparen (auf Film zu drehen ist nämlich ungleich teurer), war das ein Riesenflop. Zu seltsam billig wirkten die Bilder, weil sie mit ihrer Halbbildtechnik an Mitschnitte von Live-Events erinnerten. Der TV-Zuseher war jedoch daran gewöhnt, dass bei ausgefeilten erzählerischen Stoffen die Spielfilm-Technik mit den umgerechneten Vollbildern zum Einsatz kommt.

Einzig bei Billigproduktionen wie Daily Soaps oder auch der Lindenstraße haben wir gelernt, die »billige« TV-Kamera-Ästhetik zu akzeptieren. Wohl, weil diese Formate ohnehin eine sehr lebensnahe und ungekünstelte Wirkung erzeugen sollen.

Nun aber verwischen diese Grenzen: Moderne Fernsehkameras beherrschen den sogenannten progressive mode: Man kann einfach auswählen, ob man in Halbbildern oder in Vollbildern aufnehmen und übertragen möchte – und kann somit sehr leicht bestimmen, ob das gesendete Material eher live und direkt wirken soll oder eher spielfilmartig und edel.

Bei Gute Zeiten, Schlechte Zeiten setzt man nun also auf Vollbilder. Und erreicht tatsächlich eine Verringerung der Trash-Wirkung. Auch bei Unterhaltungsshows wie »Wetten, dass« schaltet man beim Auftritt der Showacts um auf den coolen progressive mode.

Dem zunehmenden Einsatz von MPEG-Kompression (z. B. bei DVDs oder dem digitalen Fernsehen über Satellit, Kabel oder Antenne) kommt dieser Trend ganz gelegen: Vollbilder lassen sich nämlich unauffälliger und schöner komprimieren.