Originell: Ein Microsoft-Rant!
16. Dezember 2009
Ich will doch noch einmal meine Gedanken zum Thema Webfonts loswerden. Meine vorgestrige Design-Umstellung hin zur Typekit-gepowerten FF Dax hat sehr hohe Wellen geschlagen. Der Empörung der meisten Windows- und Linux-Nutzer stand der allgemeine Zuspruch aus dem Mac-Lager entgegen. Das kommt sicher nicht von ungefähr.
Ich will versuchen, zum Kern des Problems vordringen: »Schuld« an der Misere ist weder der Fontservice Typekit noch irgendein Browser-Hersteller, sondern eine Kombination aus mehreren Faktoren: Ein frisch installiertes Windows XP stellt systemweit Schriften unter ca. 20 Pixel wie 1-Bit-Pixelgrafiken dar: schwarz und weiß, nichts dazwischen. Die meisten XP-Nutzer ändern an dieser Grundeinstellung nichts (die Optionen sind sehr versteckt), und es gibt noch sehr viele XP-Nutzer da draußen! Mit ClearType könnten jedoch alle XP-Nutzer optional eine Schriftglättung aktivieren, die bei all jenen Schriften sehr brauchbare Ergebnisse liefert, die speziell für diese kleinen Schriftgrade optimiert sind. Man nennt das im Allgemeinen Hinting (auch wenn das technisch nicht mehr ganz korrekt ist). Hinting hat zwei Probleme: Es ist scheußlich aufwändig und es vergrößert die Font-Dateien teilweise enorm. Bei den vorinstallierten System-Schriften ist es freilich egal, ob ein Schnitt 40 oder 400 KB groß ist, aber wenn man das ganze aus dem Netz verlinkt, um es über font-face einzubinden, wäre es schon nett, wenn die Datenmenge kleiner wäre.
Die Zwickmühle liegt aber auf der Hand: Ohne ordentliches Hinting sind Schriften unter Windows XP ohne Schriftglättung quasi unbrauchbar, aber auch mit aktiviertem ClearType nicht gerade von bestechender Schönheit. Ein frisch installiertes Windows Vista kommt per default zwar mit aktiviertem ClearType 2, was jedoch für nicht gehintete Fonts keine deutliche Verbesserung zu XP bedeutet. Erst Windows 7 bringt eine komplett neue Schriftrendering-Engine mit, die sich »DirectWrite« nennt. Sie kann auch unter Windows Vista nachinstalliert werden, was aber aller Voraussicht nach niemand machen wird. (Sei’s drum: Vista-Nutzer werden eh schneller aussterben als XP-Nutzer.) DirectWrite macht seine Sache wohl ganz ordentlich und stellt alle Fonts gut lesbar dar, auch ohne Hinting. Doch hier gibt es wiederum das Problem zu beachten, dass DirectWrite in Windows 7 nur eine Option ist, die von den Browser-Herstellern aktiv genutzt werden muss. Was aber derzeit nicht geschieht, nicht einmal im IE8!
Es ist also wieder einmal diese seltsame Mischung aus Microsofts Angewohnheit, zu spät die richtigen Technologien einsetzen und der Angewohnheit vieler Microsoft-Nutzer, nicht bereit zu sein für diese technischen Neuerungen. Das sind kulturelle Eigenarten, die sich gegenseitig begünstigen, und dabei einen Teufelskreis bilden: Microsoft bringt etwas neues heraus, macht dies aber zunächst etwas halbherzig, so dass kein wirklich attraktives Angebot entsteht. Der Nutzer sieht nur die Risiken und bleibt verständlicherweise beim Althergebrachten. Microsoft setzt daraufhin Himmel und Hölle in Bewegung, damit alle Produkte auch noch auf den alten Systemen laufen. Die Wechselmotivation für den Nutzer bleibt dadurch bei Null, denn »es geht ja alles!«
Die Nutzer trauen sich nicht, etwas Neues zu probieren, und Microsoft traut sich nicht, das Neue mit einem gewissen Druck zu forcieren. So entsteht keine Innovation beim Anbieter. Und so entsteht auch keine Kultur der Aufgeschlossenheit beim Kunden. Und darin sehe ich das eigentliche Problem bei den Webfonts: Fehlende Aufgeschlossenheit! Gäbe es in der Windows-Welt eine progressivere Haltung, wären Windows XP und der IE6 schon lange Zeit Geschichte! Wir würden drüber lachen, so wie wir heute über IE5 auf dem Mac lachen und wie wir über den Nintendo GameCube lachen! Das war 2001, als XP und IE6 auf den Markt kamen, quasi die Steinzeit!
Irgendwie hat Microsoft es geschafft, dass sich ihre Kunden wohlfühlen in dieser Steinzeit. Und das muss ihnen auch erst einmal jemand nachmachen.