Neue Musik
23. März 2006
Scheint, als ob die herkömmliche Musikindustrie drauf und dran ist, sich endgültig selber von der Bildfläche zu kicken. Nun gut, soll sie doch! Dazu fallen mir verschiedene Dinge ein. Ein assoziativer Blick auf den Musikkonsum im Jahr 2006.
Der allgemeine Trend könnte ganz klar zur Schlager- und volkstümlichen Musik gehen. Die Konsumenten von Bernhard Brink und GG Anderson sind bisher noch nicht so recht hinter das Geheimnis des CD-Brennens und Filesharens gekommen. Die kaufen echt noch CDs!
Angeblich sind aber die ganzen Filesharer die größten CD-Abnehmer der Welt. Lachhaft! Diese Behauptungen stützen sich immer auf Umfragen. Und ich glaube diesen Umfragen kein Wort. Denn wenn ich als fleißiger Musiksauger so einen Fragebogen ausfülle, werde ich schon nicht so blöd sein, zuzugeben, dass ich keine CD mehr gekauft habe, seit ich mir das Zeug bei eDonkey hole. Würde ich wahrheitsgemäß ankreuzen, würde ich ja die MI darin bestärken, mir den eDonkey wegzunehmen, damit ich wieder brav CDs kaufe. Oder noch schlimmer.
Überhaupt die CD. Ein absolut überbewertes Übergangsmedium. Hat nichts von der Sinnlichkeit einer Schallplatte, ist aber deutlich unpraktischer als eine Datei auf einem digitalen Datenträger. Wenn es nach mir ginge, könnte es ruhig nur noch Schallplatten und Dateien geben. Dann hätten wir auch die lästige audiophile Diskussion über den kalten digitalen CD-Klang hinter uns: Entweder warm-analog-supitoll oder komplett kaputtkomprimiert durch MP3.
Mein letzter CD-Kauf muss wohl »Disco3« von den Pet Shop Boys gewesen sein – der Vollständigkeit halber. Ließ sich leider nicht so einfach rippen, wegen Kopierschutz. Das hat mich geärgert, nun kaufe ich Musik nur noch bei iTunes und hoffe, dass ich sie behalten kann, wenn ich älter werde. Hat zwar nicht den gleichen Karma-Gehalt wie finetunes, ist aber hübscher gemacht.
Aber hat Musik nicht sowieso gehörig an Stellenwert verloren? Jaja, damals war alles besser. Musik hat gar keinen richtigen Wert mehr. Oder? Schwierige Frage. Der iPod hat einiges verändert. Man hat ständig Zugang zu einer kompletten Musiksammlung. Und hört oftmals doch immer die gleichen Songs und Alben. Vielleicht bin ich aber noch nicht richtig angekommen in der neuen Musikhörwelt. Sollte ich intelligente Playlisten bewusster nutzen? Wieder wegkommen von meinem Spleen, Alben als Ganzes zu hören? Ich mag es nicht, mir nur einzelne Songs rauszupicken. Zumindest die Künstler, die ich mag, machen mit einem zusammengehörigen Album eine Aussage, die mehr ist als die Summe seiner Songs. Muss doch möglich sein, diese Praxis rüberzuretten!
Wie sieht sie also aus, die neue Musikwelt? Hmm, ein bisschen komisch zurzeit. iTunes versucht ja, ein wenig haptischen Flair mit ins digitale Zeitalter zu retten, arbeitet (derzeit verstärkt) mit Albumcovern und sogar PDF-Booklets. Ist das nicht ein bisschen inkonsequent? Die Musik ist auf dem Datenspeicher eben nur die Musik. Nix mit Fotos und Kerzenschein und Nadel behutsam auf die Platte setzen. Die Musik ist gegenstandlos geworden. Boa, wie gruselig.
Doch liegt darin nicht die große Chance? Musik wieder als das zu begreifen, was es eigentlich ist? Töne. Keine grimmig guckenden Rockstars auf Postern. Keine fetten Videoclips, die den Song zum schmückenden Beiwerk machen. Keine Vermarktungsmaschinerie in Radio und TV, die darauf abzielt, dass unsichere Kids denken, die Band wäre bereits beliebt, und sie damit überhaupt erst beliebt machen. Keine Effekthascherei mehr. Just Music.
Denn auch das ist die Zukunft der Musik: In der schrullig-sympatischen Podparade kann man sich Woche für Woche die besten Songs aus der anderen Welt anhören. Musiker und Bands, die bewusst nicht bei GEMA und Co. gemeldet sind. Die keine Krakenarme einer großen Plattenfirma im Hintergrund haben. Die einzelne Songs als Promo verschenken, ihre Alben auf eigene Faust über iTunes verkaufen und von Podcastern weltweit gespielt werden (dürfen). Musiker, von denen kaum jemand weiß, wie sie aussehen, weil sie nicht bei Bravo, Top of the Pops und MTV zu finden sind. Doch sie machen etwas sehr Mutiges: Sie lassen sich an ihrer Musik messen. Und zwar nur an der Musik. Daran muss man sich erst einmal gewöhnen. Keine Schminke, keine fetten Videoclips. Just Music. Und: keine Knebelverträge, dafür Creative-Commons-Lizenzen. Eine Musikwelt, die völlig an den herkömmlichen Institutionen vorbei handelt und immer mehr Fans findet. Ich bin einer von ihnen geworden.
Und zum Abschluss einige Hyperlinks zu Bands, die man sich mal anhören sollte. Das ist gutes Karma, Leute. Einige der Songs haben das Zeug zum Superhit. Doch da sie nicht von Robbie Williams gesungen werden, sind sie echte Insider-Tipps. Wollen wir das nicht ändern? Ich denke, schon!