Mein Kindle 4 im Testbericht
8. Januar 2012
Im Grunde kann niemand einen wirklich ausführlichen Praxistest eines E-Book-Readers schreiben, wenn die Autorin oder der Autor nicht mindestens einen mittellangen Roman oder ein prosalastiges Sachbuch unter realistischen Bedingungen damit gelesen hat.
Von daher kommen hier, etwas später als anderswo, meine Erfahrungen mit dem Kindle 4 (auch 99-Euro-Kindle genannt). Gleich vorweg: Ich mag das Ding, wenn es auch viele Schwächen hat.
Die Hardware ist vor allem eins: angenehm leicht. Bei kaum einem elektronischen Gerät ist mir das Gewicht wirklich wichtig. Ich bin meist eher der Vertreter der »Gewicht steht für Qualität«-Fraktion. Doch bei E-Book-Readern muss man einfach eine Ausnahme machen. Hier ist geringes Gewicht Trumpf! Man kann den Kindle locker zwischen zwei Fingern oder in einer Hand halten; auch den Screen zu betatschen ist für das Erreichen einer angenehmen Lesehaltung nicht Tabu (es ist ja kein Touchscreen!), so dass man sich nach ein paar Stunden Lesezeit seine drei oder vier Lieblingspositionen zurechtgelegt hat, die man dann unbewusst durchwechselt. Ist ja beim Taschenbuch nicht anders.
Überhaupt Taschenbuch! Das Kindle-Leseerlebnis ist eher ein Ersatz für das Taschenbuch statt für das Hardcover. Die Kindle-Hardware wirkt etwas billig (aber nicht schäbig), das Format und das Gewicht sind handlich und praktisch. Die Umblättertasten sind zunächst gewöhnungsbedürftig, weil sie untereinander angeordnet sind, und zwar sowohl links als auch rechts. Normalerweise würde man denken, dass links zurück, und rechts weiter platziert wäre, doch dem ist nicht so. Die Verarbeitung der Blättertasten ist so lala und könnte sich definitiv hochwertiger anfühlen. Doch immerhin ist das Klickgeräusch angenehm leise und weckt schlummernde Zweitpersonen nicht auf. Seltsam ist, dass man die Tasten aus einem bestimmten 45-Grad-ähnlichen Winkel drücken muss, damit sie reagieren. Man denkt bald nicht mehr drüber nach, aber komplett intuitiv ist das zunächst nicht.
Die Software-Ergonomie in der Menüführung und beim Stöbern ist ganz allgemein nicht komplett perfekt durchdacht. Als Apple-User fühle ich mich da schon ein wenig unwohl. Gleichzeitig bewegt man sich ja nur einen Bruchteil der gesamten Nutzzeit in den Menüs, und letztlich kommt man schon irgendwie zurecht. Alles, was mit Texteingabe zu tun hat (WLAN-Passwort, Anmerkungen, Shop-Suchen) sind naturgemäß eine große Katastrophe, aber das ist der fehlenden Hardwaretastur und/oder dem fehlenden Touchscreen geschuldet. Immerhin ist es überhaupt möglich, mit dem Gerät autark zu agieren (iOS 1-4 konnte das ja nicht!), aber das Einkaufen ist definitiv bequemer, wenn man es auf dem heimischen Rechner oder dem iPhone macht.
Kommen wir zu einem der interessantesten Punkte für mein anspruchsvolles Publikum: Die Lesbarkeit. Die ist nicht eindeutig als gut oder schlecht zu bezeichnen, hängt sie doch von mehreren Faktoren ab.
1) Darstellungsqualität. Die entspricht gefühlt einem mittelmäßigen Taschenbuchdruck. Ich habe schon miesere (englische) Taschenbücher gesehen, die katastrophale Verschmierungen und Unregelmäßigkeiten aufwiesen. Hochwertige deutsche Taschenbücher hingegen sind deutlich sauberer bedruckt. Das E-Ink-Display des Kindle ist in den Feinheiten manchmal ein wenig rumpelig, aber nach anfänglichem Eingrooven fallen die Pixel nicht mehr ins Gewicht und man genießt die ruhige und nicht-strahlende, nicht-flackernde Darstellung. Das passt. Der kühle neutrale Grauton des Fonds wirkt für den eingefleischten Papierleser etwas ungewohnt – Taschenbuchpapier hat zumindest auf dem deutschsprachigen Markt üblicherweise eine etwas gelblichere Tönung – aber auch das ist reine Gewöhnungssache und nicht von grundsätzlichem Nachteil. Der Kontrast ist auf jeden Fall angenehm gewählt und bei ausreichender Beleuchtung gut zum Lesen geeignet.
2) Satzqualität. Hier leider keine positiven Nachrichten! Der Kindle versucht sich wie viele andere Lese-Applikationen am (fatalen) silbentrennungslosen Blocksatz, was überhaupt nicht gut geht. Es geht sogar so schlecht, dass bei solchen Zeilen, wo die Löcher zwischen den Wörtern zu groß wären, der Blocksatz für diese eine Zeile ausgesetzt wird. So sehen wir also Seiten, bei denen von insgesamt 26 Zeilen nur 17 Zeilen tatsächlich im Blocksatz stehen. 7 Zeilen sind künstlich verkürzt, weil die Löcher zu groß wären, und 2 Zeilen sind aufgrund von Absatz-Enden kürzer. (siehe Bild)
Dazu kommen hässliche Fehler in den E-Books, wie im obigen Beispiel die doppelten Leerstellen nach Gedankenstrichen, und auch die unschöne Platzierung von Fußnoten. Das sind alles Sachen, die über Software-Updates meines Erachtens relativ leicht behoben werden können. Mittels Silbentrennung ließe sich ein annehmbarer Blocksatz realisieren, und eine Option zum Ein- und Ausschalten des Blocksatzes dürfte eigentlich auch nicht fehlen. Schade, dass auch hier die englische Sprache der einzige Maßstab zu sein scheint; Unsere deutschen Wörter sind halt nunmal länger, lassen sich aber prinzipiell gut automatisch trennen, wenn man denn wirklich wollte!
3) Schriftwahl. Auf dem Kindle findet man nur drei Schriften: Eine moderne, screenoptimierte Serifenschrift ohne Schnörkel, die gleiche Schrift in schmal, und eine helveticaeske Serifenlose. Zum Lesen sind die alle gut geeignet, da gibt es nichts zu meckern. Ein bisschen mehr Auswahl hätte jedoch wohl nicht geschadet. Gerade eine etwas historischer angehauchte Antiqua hätte als zusätzliche Option nicht geschadet.
Fazit
Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich auf dem iPad einen kürzeren Roman gelesen, und bin dann an Frank Schätzings »Limit« gescheitert – zu anstrengend der selbstleuchtende Bildschirm und zu schwer und unhandlich zum entspannten Rumlungern. Und natürlich die Akku-Problematik! Der Kindle muss nur alle paar Wochen aufgeladen werden, was den Umgang damit extrem erleichtert. Es ist eine komplett andere Gerätekategorie. Die Auswahl an deutschen E-Books ist ganz okay, wenn auch lange nicht vollständig. Und wenn man – wie ich – so langsam in die englischsprachige Literatur einsteigt, ist es sowieso praktisch: Englische E-Books kosten nämlich oftmals nur ein Bruchteil dessen, was man im deutschen Handel für das entsprechende Taschenbuch ausgeben würde.
Insofern freue ich mich über mein neues, leichtes Lesegerät, mit dem ich aufgrund des Preises nicht allzu sorgsam umgehen muss (Lesen in der Badewanne erfolgreich praktiziert!), und dass sich als treues, unprätentiöses Arbeitspferd erweisen könnte. Und hoffentlich mit ensprechenden Software-Updates auch noch ordentlichen Satz lernt!