Lido STF
18. Oktober 2004
Der tschechische Schriftgestalter Frantisek Storm (Storm Type Foundry) erhielt im Jahr 2000 den Auftrag, für eine Tageszeitung namens Lidove noviny deren Druckschrift Times zu modifizieren. Eine dankenswerte Aufgabe, doch beim Modifizieren blieb es nicht: Die Lido wurde komplett neu gezeichnet und erinnert nur mehr entfernt an die Times. Doch während die ersten Entwürfe fertiggestellt wurde, wechselte das Management der Zeitung; die Times sollte nun doch bleiben, der Auftrag platzte.
2001 entschloss sich Storm kurzerhand, seine Times with a Human Face auf eigene Faust fertigzustellen und kostenlos zum Download anzubieten. Gute Promotion für seine Schriftschmiede, die ich hiermit gerne weiterverbreite: Storm Type hat über drei Dutzend exzellente Schriften zu günstigen Preisen im Repertoire, die meisten mit historischem Bezug, und auf der Website sehr hübsch beschrieben und mit der jeweiligen Entstehungsgeschichte und interessanten Fakten angereichert.
Charakteristik
Ein Vergleich mit der Times bietet sich aus gewissen Gründen an, doch allzu viel Ähnlichkeit ist überraschenderweise gar nicht zu finden, zum Glück!
Lido besitzt geringere Strichstärkenkontraste, viel stumpfere und kürzere Serifen, insgesamt weichere Formgebung, kurzum: Sie ist ausgeglichener und freundlicher als die Times. Das macht sie zwar weniger prägnant, dafür aber auch eleganter und nicht so ruppig. Ich verzichte im Übrigen liebend gerne auf die unsinnig breiten Schwünge im kleinen e und c der Times, denn diese wurden gekonnt harmonisiert.
Die Lido ist eine ausgezeichnet lesbare Barock-Antiqua, der problemlos auch lange Texte anvertraut werden können. Sie ist von schlichter Zeitlosigkeit und universell einsetzbar. Eine subtile Charakterlosigkeit sei hiermit ebenfalls bescheinigt, wobei ich das gar nicht einmal als negativ betrachte. Schriften, die sich zu sehr in den Vordergrund spielen, sind mir bei vielen typografischen Aufgabenstellungen zuwider.
Umfang/Ausbau
Nichts umwälzend überraschendes von dieser Baustelle: Wie die Times besitzt Lido die vier klassischen Schnitte Regular, Italic, Bold und Bold-Italic. Wie es sich für eine Barock-Antiqua gehört, ist die Kursive komplett echt und neu gezeichnet. Sie bildet innerhalb von langen Texten einen guten Kompromiss aus Auffälligkeit und Harmonie im Schriftbild.
Bei den Sonderzeichen und Akzenten ist auch alles im grünen Bereich: Lido entspricht dem Umfang der üblichen Systemschriften. Es gibt sie auch als Unicode und in einigen osteuropäischen Varianten, kostet dann jedoch ein bisschen was. Für mitteleuropäische Texte reicht die kostenlose Mac- oder PC-TrueType völlig aus.
Die Lido in der Praxis
Eine entschärfte Times kann man prinzipiell überall einsetzen, wo man sonst das Original verwendet hätte: Alles wird eine Spur freundlicher, homogener und eleganter wirken. Ob Korrespondenz, Bücher, Zeitschriften: Die Möglichkeiten sind sehr zahlreich, vor allem aufgrund des universellen Charakters. Sollte es jedoch einmal ein bisschen individueller und radikaler zugehen, empfiehlt es sich, zu Alternativen zu greifen. Auch für kühle technische Themen sind serifenlose Typen wohl besser geeignet. Im großen Bereich zwischen dezenter Wärme und bewusster Zurückhaltung liegt der Einsatzbereich der Lido.
Rechtliches
So richtig-ganz-völlig-in-echt frei ist die Lido leider gar nicht: Sie darf zwar legal im Netz als TrueType heruntergeladen werden, doch wer sie in kommerziellen Drucksachen bzw. für einem bezahlten Auftrag einsetzt, muss sich dennoch eine Lizenz kaufen – und erhält die Schrift dann als PostScript-Font. Und vielleicht gibt es bald sogar eine OpenType-Version, wie ich per eMail von Herrn Storm persönlich erfuhr:
Dear Gerrit,
[…]
Yes, for professional use you need a valid License which means porchasing the font. Lido is not made in OpenType format yet, but the PostScript works well.
Best regards:
Frantisek Storm
Downloads
- Die komplette Lido-Geschichte
- Download bei Stormtype (OpenType, TrueType)
- Schriftmusterblatt zum Sammeln