Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) bedroht das freie Internet
16. Februar 2010
Dass man mit DNS-Sperren den Kindesmissbrauch nicht stoppen kann, haben die Verantwortlichen inzwischen begriffen. Außerdem ist die gute Ursel ja keine Familienministerin mehr.
Dass das Internet kinder- und jugendgerecht zurechtgestutzt werden muss, scheint jedoch immer noch das Anliegen diverser Organisationen zu sein. Derzeit wird länder- und parteiübergreifend an einem Plan gearbeitet, der – grob gesagt – dazu dienen soll, das Internet von allem zu säubern, was nicht auf einer Whitelist zu finden ist. So kann man die Intention jedenfalls verstehen.
Es soll verpflichtende Jugendschutzkennungen für jedes(!) Angebot im Netz geben, wobei bestimmte Inhalte erst ab bestimmten Uhrzeiten(!) gezeigt werden dürfen. »Anbieter« von Inhalten und somit verantwortlich für die Einhaltung sind (gleichermaßen) der Hosting-Provider, der Zugangsprovider und der Seitenbetreiber. Sehr handlich in der Praxis
Peter Kröner spricht sehr treffend von einem »Deutschland-Intranet plus X«, denn wer sich nicht an die Jugendschutz-Kennzeichnung hält, taucht im Internet eben gar nicht mehr auf, sofern der Zugriff aus Deutschland erfolgt. Um es klar zu sagen: Hier wird mit völlig medienfernen Instrumenten versucht, einen Zustand herzustellen, der 90 Prozent des Reizes wegnimmt, den das Medium derzeit besitzt.
Das dürfen wir uns nicht gefallen lassen! Ich verdanke meine gesamte berufliche Existenz der Offenheit und der internationalen Freiheit dieses Mediums. Der nächste Schritt in diesem Wahnsinn wäre höchstwahrscheinlich ein Genehmigungsverfahren, bei dem man Sendelizenzen für das Internet erwerben kann. Was für ein Schwachsinn!
Es gibt gute Methoden, mit denen verantwortungsbewusste Eltern ihre Kinder vor den kranken Dingen schützen können, die es im echten Leben und im Internet gibt. Im Internet klappt das sogar noch viel besser als im echten Leben. Jeder, der einen DSL-Anschluss beantragen und nutzen kann, ist auch in der Lage, sich über Kinderschutzsoftware zu informieren, oder einfach das Router-Passwort geheim zu halten. Oder von mir aus den Familienrechner in den Save zu schließen.
Generell gilt: Wenn ein Jugendlicher bestimmte Dinge sehen will, kriegt er sie auch zu sehen. (Nicht alle Menschen sind damals bereits an der Programmierung eines VHS-Videorekorders gescheitert.) Die zufällige Begegnung mit bedenklichen Inhalten hingegen können wir sehr gut mit grundlegender Erziehungsarbeit und familiär-sozial-technischer Kontrolle in den Griff bekommen. Dafür muss man nicht das freie Internet ausknipsen.
Ich schreibe jetzt einen Brief an meinen zuständigen Regierungsfuzzi. Solltet Ihr genauso tun. Und Bloggen und Twittern nicht vergessen!
update: So, fertig:
Sehr geehrte Frau Bause,
liebe Margarete,
Mit Entsetzen habe ich in den letzten Tagen davon erfahren, dass diverse Jugendschutzorganisationen zusammen mit Bund und Ländern eine Novelle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) anstreben, in der weite Teile des freien Internets unzugänglich gemacht werden sollen. Ich möchte nicht, dass dies Realität wird und dränge darauf, dass wir GRÜNE entschieden gegen diese Form der Gängelung vorgehen!
Ich bin freibruflicher Webdesigner aus Würzburg und wurde im letzten Jahr im Zuge der „Zensursula“-Debatte politisiert. Ich entschied mich gegen einen Beitritt zur Piratenpartei und für die GRÜNEN, weil diese sich ebenfalls als engagierte Kraft gegen Regulierung von Bürgerrechten und Pressefreiheit hervorgetan hat und dies hoffentlich weiter tun wird.
Meine berufliche Existenz verdanke ich dem freien Internet. Ohne Informationsangebote aus dem englischsprachigen Ausland hätte ich nie die Fähigkeiten gelernt, die mich heute zu einem gefragten Dienstleister machen. Einige meiner Kunden kommen aus dem europäischen Umland. Wie soll ich denen erklären, dass ich nicht mehr auf die Websites zugreifen kann, die ich selber gestaltet habe, nur weil mein deutscher DSL-Provider die Seiten filtert?
Das Internet darf nicht zu einem „Deutschland-Intranet plus X“ werden! Für mich und viele meiner Kollegen ist ein freies Internet eine berufliche Notwendigkeit. Deren und mein Wahlverhalten ist ganz direkt davon abhängig, wie bestimmte Parteien sich hier positionieren. Ich bitte Dich eindringlich, hier eine starke Position für die Medienfreiheit zu ergreifen!
Freundliche Grüße,
/Gerrit van Aaken