Georgia
28. Februar 2005
Als Microsoft vor knapp zehn Jahren endlich verstand, wie wichtig das World Wide Web einst werden würde, überschlug der Software-Konzern sich plötzlich im Aktionismus: Man stürzte sich 1996 voll ins Geschäft, positionierte den Internet Explorer sehr aggressiv gegen den Netscape Navigator und trat damit den ersten Browser-War los.
Was das mit Schriften zu tun hat? Nun, 1996 startete Microsoft auch die Initiative »TrueType core fonts for the Web«. Eine Sammlung von Schriften, die jeder frei herunterladen durfte und die als kleinster geminsamer Nenner der in HTML einsetzbaren Schriftsätze gelten sollte. Und dabei ist es an sich auch geblieben, obwohl Microsoft die Schriften seit geraumer Zeit nicht mehr offiziell zum Download anbietet – sie sind dennoch auf fast jedem System zu finden. Entweder als Systemschrift oder im Bundle mit Browser oder Office-Paket: Sowohl Windows- als auch Mac-User haben die wichtigsten core fonts auf ihrem Rechner.
Nun ist das typografische Image von Microsoft mit der Arial (1989) zwar arg beschädigt worden, konnte sich jedoch einigermaßen erholen. Nicht ganz unschuldig daran ist die Georgia. Sie wurde 1996 von Matthew Carter für das »core fonts«-Paket entworfen und gilt als die einzig brauchbare Serifenschrift im Web.
Carter ist kein Neuling im Geschäft, macht seit 40 Jahren Schriften, gründete 1981 Bitstream und besitzt nun seine eigene Schriftschmide. Ein interessantes Interview mit ihm gibt es auch. Deswegen spare ich mir Details zu seiner Person – hier erfährt man das besser!
Charakteristik
Die Georgia ist eine sehr moderne und saubere Barock-Antiqua. Ihre Formsprache ist extrem homogen gestaltet – man merkt ihr an, dass sie mit besonderem Blick auf die Bildschirmdarstellung konzipiert wurde, wo kleinere Details sowieso zu hässlichem Pixelmatsch mutieren.
Gewisse Ähnlichkeiten zu anderen Schriften lassen sich oft nicht vermeiden. Spontan erinnert die Georgia sehr an die Utopia von 1989, eine zurzeit sehr beliebte Schrift (z. B. Financial Times Deutschland, Jung v. Matt). Die Georgia hat jedoch formal einen etwas stärkeren Hang zum Klassizismus, wie man an den ausgeprägten Tropfen beim kleinen a und r gut erkennen kann.
Beide Fonts schaffen es auf wundersame Weise, die an sich perfekten und neutralen Kurven mit einer wohligen Wärme auszustatten. Das schafft sofort eine sympathische Atmosphäre beim Lesen. Das Gute daran: Man weiß als Leser gar nicht so recht, woran das liegt. Und das ist letztlich das Hauptziel einer guten Satzschrift.
Wie schon angedeutet, leistet sich die Georgia keinerlei Auffälligkeiten bei den Buchstabenformen. Jedes Detail ist da, wo man es vermuten würde – es gibt keine Buchstaben, die auf sich aufmerksam machen. Selbst das kleine g bleibt weitestgehend inkognito. Ich weiß, dass dies eigentlich keine besonders guten Eigenschaften für eine klassische Druck-/Satzschrift sind. Kleine Unregelmäßigkeiten und »Haken« machen das Schriftbild unverwechselbar und das Auge kann Wortbilder schneller und besser erfassen. Doch die Herkunft der Georgia ist nun mal der Screen. Und wenn man dies bedenkt, schlägt sie sich auch auf dem Papier ganz hervorragend. Man drucke sich zum Vergleich mal testweise die ebenfalls screenoptimierte Verdana aus … Überzeugt?
Umfang/Ausbau
Glänzende Augen kann man bekommen, sieht man sich an, wie umfangreich die Georgia ausgebaut ist – zumindest für eine Freie Schrift. Zur Regular gesellt sich eine sehr hübsche Bold. Und beide Fetten bekamen je eine wunderhübsche kursive Schwester spendiert. Von daher eine klassische Vierer-Schriftfamilie. Besonders gut gefallen mir an der Georgia aber die Mediävalziffern, also Ziffern, die Unter- und Oberlängen besitzen und sich somit harmonischer ins Satzbild einfügen.
Bei den Sonderzeichen ist Standardkost angesagt. Immerhin eine fi- und eine fl-Ligatur, sowie die wichtigsten Währungszeichen im angepassten Formgewand. Von daher ist eine völlig problemfreie Nutzung gesichert.
Die Georgia in der Praxis
Was kann man hier noch sagen, was noch nicht gesagt ist? Natürlich ist die Georgia gut für Websites geeignet (Schauen Sie sich ruhig mal unauffällig auf dieser Website um …), aber auch für PDF-Magazine, die am Bildschirm gelesen werden sollen (An dieser Stelle können Sie sich unauffällig in den Bereich Portfolio begeben …). Aber lassen wir das.
Die Georgia ist aufgrund ihrer neutralen Formen für viele Zwecke geeignet. Und zwar sowohl im Lauftext als auch in Überschriften. Zu kühl und präzise sollten die Themen allerdings nicht werden. Georgia ist keine Schrift für technokratische Gemüter. Sie ist ausgeglichen und warm, dabei immer zurückhaltend und vermeldet keinerlei Ansprüche, wiedererkannt oder aufgrund ihrer Schönheit bewundert zu werden. Sie ist eine genügsame Schrift für alle alltäglichen Aufgaben.
Eine stark heruntergebrochener Praxistipp: Wer die abgenutzte Times New Roman so richtig satt hat, greift entweder zur etwas wärmeren Lido oder eben zur deutlich wärmeren Georgia.
Rechtliches
Wie gesagt, Microsoft bietet die »core fonts« seit einigen Jahren nicht mehr zum Download an. Sie sind jedoch fester Bestandteil von Windows- und Mac-Installationen. Und haben ihren Freeware-Status auch keineswegs verloren. Man darf sie also bedenkenlos einsetzen. Was unter Linux möglich ist, weiß man nicht genau. Man sollte hier jedoch nicht päpstlicher als der Papst sein: Microsoft hat diese Schrift jahrelang einzeln verschenkt und verschenkt sie weiterhin mit dem kostenlosen Internet-Explorer. Von daher dürfen sie sich nicht beschweren, wenn sie auch genutzt wird. Oder sehe ich das völlig falsch?