Dinge, die man einfach nicht mehr macht …
22. April 2006
Das verträgt sich nicht, meiner Meinung nach. Und somit hier ein kleiner Friedhof von schlechten Web-Ideen. Leider sind in der Parade immer noch viele Untote dabei, die einfach nicht in Frieden ruhen mögen :-)
1. Die Splash-Page
Diese nervige Einstiegsseite enthält keine Information, sondern lediglich ein sehr großes Firmen Logo und eine Begrüßung. Eventuell ein paar Navigationspunkte. Auf jeden Fall nichts, was einen weiterbringt, vom Informationsfluss her betrachtet. Splash-Pages stören den Surf-Rhythmus und behindern die Informationsaufnahme. Sie sind die Prunkfassaden der Reichen in den Villenvierteln. Das hat mit Kommunikation nicht viel zu tun. Und geht es im Web nicht vor allem darum? Kommunikation? Könnte sein!
1.1 Das Flash-Intro
Was habe ich 1998 gestaunt, als ich das erste Mal Flash gesehen habe! Es war die Seite von eye4u und das Intro haben sie bis heute nicht geändert. Es lockt nun allerdings niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Zurecht. Denn man hat sich satt gesehen an den Animationen im Web. Flash-Intros sind Splash-Pages im Quadrat, denn sie stehlen die Zeit des Surfers. Die Menschen rufen eine Internetseite nicht mehr auf, um bunte Bildchen zu gucken, sondern um Informationen zu sammeln. Warum macht man den Surfern das so schwer? Werbespots angucken müssen sie schon zwischen den einzelnen Spielfilmfragmenten im Fernsehen. Wenn die Menschen schon freiwillig Eure Botschaften lesen wollen, dann stört sie nicht!
2. Die Sitemap
Früher, als Usability und Informationsarchitektur noch Fremdwörter waren und man sich wegen einer fehlenden Volltextsuche auf großen Angeboten verlieren konnte, da gab es Sitemaps. Auf einer einzelnen Seite, die irgendwo ganz oben und ganz unten verlinkt war, gab es eine Übersicht zu bestaunen, die alle 3.000 Einzelseiten innerhalb des Webangebotes auflistete – und als wilde, hochkomplexe Linkwüste noch viel unzugänglicher war, als das Webangebot selbst. Merke: Wenn Deine Website so komplex ist, dass Du denkst, Du benötigst eine Sitemap, solltest Du Dir erst einmal Gedanken machen um die Struktur und das Wording deiner Navigation. Denn eine schlecht gegliederte Struktur wird auch in Übersichtsform nicht benutzerfreundlicher! Volltextsuche und Tagging sind da doch eine viel nettere Angelegenheit! Da kann man seine Zeit sinniger investieren!
3. Seite empfehlen
Habt Ihr schon mal eine Mail von einem Freund bekommen, in dem dieser Euch in feinstem Marketing-Deutsch die Vorzüge eines Artikels auf einer Corporate Website eines großen Unternehmens hinweist? Nein? Eben. Jede Website einer Firma, die eine Marketing-Abteilung ihr Eigen nennt, besitzt dieses Feature, mit dem ich meiner spontanen Begeisterung über die Firma damit Ausdruck verleihen kann, meine besten Freunde zuzuspammen. Keine feine Sache. Außerdem besitzt quasi jede vernünftige Website dieses praktische Feature – vorausgesetzt, man traut dem User zu, eine URL aus der Browseradresszeile zu kopieren, und in eine Mail einzufügen. Ich weiß, das ist wahrlich eine herausforderne Maßnahme.
4. Der Disclaimer
Whow, das Thema scheint längst durch zu sein, ist es aber komischerweise nicht. Daher nur die Kurzfassung (mehr gibt’s hier): Man kann nicht jemanden als Arschloch beschimpfen und sich im gleichen Atemzuge von seiner Behauptung distanzieren. Wenn ich jemanden verlinke, dann stelle ich eine Verbindung her, und das bewusst, und das wird auch vom berühmten Landesgericht Landgericht in Hamburg so gesehen. Der oftgelesene Disclaimer wird nämlich tausendfach falsch zitiert. Der betreffende Ange Beklagte hatte damals nämlich eine schriftliche Distanzierung auf seiner Website, die ihm aber nichts nützte!
Aber auch bei anderen Fällen: Hey, wir sind das Netz, keine Ansammlung von Trutzburgen, die nur geheime Kanäle zur Außenwelt pflegen. Macht mal ein bisschen guten Inhalt, ohne jeden Mückenschiss juristisch regeln und absichern zu wollen. Okay, das wird keinen Juristen bei irgendeiner großen Online-Publikation interessieren. Aber wenn ich sogar in privaten Weblogs teilweise seitenlange Distanzierungserklärungen erblicken muss. TzTzTz!
5. Die Flashnavigation
Ich bin nicht gegen Flash. Im Gegenteil! Aber Flash muss dahin, wo es gehört: In den Inhaltsbereich (wenn es um Multimedia-Tutorials, Filmchen, Spiele oder Konfiguratoren geht) oder in den Schmuckbereich (wenn es um visuelle Nettigkeiten oder Spielereien geht). Flash in der Navigation ist böse, aufgrund von fehlender Barrierefreiheit, und zwar vor allem gegenüber Google, Handys und CMSen. Bei MTV weiß man das noch nicht. Aber die bauen ja auch parallel drei Playstations in die Rückbank eines verrosteten 1976er Buick ein.
6. Postkartenwebsites
Dass man Websites mit einem festen Format von 750×400 Pixeln gestalten kann, ist bei vielen ehemaligen Printdesignern immer noch das Maß der Dinge. Wo kämen wir denn dahin, wenn man es von der Textlänge abhängig machen würde, wie weit die Seite nach unten ragt? Pfui, Spinne! Wir brauchen oben und unten, sowie links und rechts vom Inhalt eine gleich große Fläche, damit unsere heiligen Inhalte wie auf dem Präsentierteller vorgestellt werden können. Die Leute scrollen doch gerne in 200×200 Pixeln großen Textkästchen herum, oder nicht? Und wehe dem User, der es wagt, die voreingestellte Schriftgröße zu verändern. Wie kann man das verhindern? »Technik!!« Wir machen das dann doch alles komplett in Flash, dann kann man wenigstens die Schriftgröße nochmal auf ein Drittel reduzieren, wir haben da doch so einen 4 Pixel hohen
Font, dann löst sich auch das Problem mit dem Scrollen. Und nervige Website-Besucher haben wir dann zum Glück auch nicht mehr. Verursachen eh nur Dreck und Traffic!
7. Das Kontaktformular (oder auch nicht)
Schaut man sich das Verhältnis von Internet-Cafe-Nutzern und Heim-/Büro-Surfern an, so ist kaum logisch zu erklären, warum so viele Seiten ein Kontaktformular anbieten, dessen Aufgabe darin besteht, den Job zu machen, für den eigentlich sowas wie ein E-Mail-Programm gedacht ist. Wäre ja okay. Doch ein Kontaktformular ist ein Jobkiller, der seine Sache auch noch schlechter macht als das Opfer! Ich kann die gesendeten Mails nicht archivieren, ich weiß nicht genau, an wen die Mail wirklich geschickt wird, muss also sogar Missbrauch und damit Spam befürchten. So ein Mailformular ist wie ein Bahnhofspenner, dem man einen wichtigen Brief an seinen Steuerberater anvertraut. Kein Mensch weiß, was er mit diesem Brief anstellt, auch wenn er sich als Mitarbeiter des Steuerberaters ausgibt. Da gehe ich doch lieber selber zum Briefkasten, beziehungsweise schreibe mit Thunderbird oder auch webbasiert mit GMail eine stinknormale E-Mail an eine Adresse mit der richtigen Domain hintendran! Muss ja nicht die Privatadresse des Chefs sein. Reicht ja eine allgemeine Firmenadresse.
update: Nach dem Studium vieler Kommentare muss ich eingestehen, dass das Kontaktformular offenbar immer noch eine große Beliebheit bei all jenen Usern erfährt, die nicht am eigenen Rechner surfen und nicht auf umständliche Webmailer zurückgreifen wollen. Das sehe ich natürlich ein. Dennoch sollte man nicht versäumen, die »echte« E-Mail-Adresse optional anzubieten, dann sind wir alle glücklich!
8. Videos mit veralteten Codecs
Wir schreiben das Jahr 1996. Video im Internet ist noch nicht existent, doch auf lustigen silbernen Scheiben, die mit seltsamen, bunten Magazinen mitgeliefert werden, befinden sich Videodateien von gar prachtvoller Qualität. (Zum Beispiel die Multimedia-Leserbriefe der PC Player.) Niemals hätte man es im Jahr 1994 für möglich gehalten, eine solch brillante Videoqualität zu Gesicht zu bekommen, wie sie uns MPEG bot. Natürlich MPEG-1. Zu dieser Zeit war das ein richtig tolles Ding und die einzige Möglichkeit, annehmbare Mengen von Video (bis zu 60 Minuten) auf einer CD-ROM unterzubringen.
Inzwischen sind wir zehn Jahre weiter und MPEG-4 liefert uns in seiner neuesten Inkarnation H.264 eine 10 Mal so kleine Datenrate bei 20 Mal besserer Bildqualität. (Jaa, fast!) Warum also gibt es demnach Menschen, die tatsächlich noch MPEG-1-Streifen ins Netz stellen. Warum? Man weiß es nicht. Besonders nutzerfreundlich ist es nicht. Und auch nicht effizient, denn die Traffic-Zeche zahlt letztlich der Anbieter!
9. Die PDF-Downloadzentrale
Die große Welle der reinen Flash-Websites haben wir glücklicherweise überstanden. Doch schon kommt etwas Neues, um den lästigen HTML-Seiten den Kampf anzusagen: PDFs. Sie kommen in rauhen Mengen. Und seit sich in den Büros dieser Welt herumgesprochen hat, dass man mit einem teuren Plugin auch aus Word heraus direkt PDFs abspeichern kann (Mac-User: bitte aufhören zu lachen!), gibt es kaum noch Grenzen. Ist ja auch verständlich: HTML-Layouts halten irgendwie nie so richtig still! Deshalb verlinke ich lieber mein gesammeltes PDF-Archiv, wenn ich dem Besucher meiner Website etwas mitteilen möchte. Besonders anfällig sind börsennotierte AGs. Die müssen nämlich aus rein rechtlichen Gründen allerhand Informationen an die Investoren und die Presse herausgeben. Und damit diese auch garantiert den Überblick verlieren in den tausenden von Dokumenten, die diese sowieso schon zu organisieren haben, bietet man jeden Firlefanz auf der Investor-Relations-Website natürlich exklusiv als PDF zum Download an – weils so schön einfach ist und man nur die Sekretärin, aber nicht die IT-Abteilung damit beauftragen muss.
10. Das neue Browserfenster
Eigentlich ermüdet es mich sehr, darüber zu schreiben, aber es ist sehr, sehr populär und hat mit der bösen Firma aus Redmond zu tun. Der Internet Explorer kann keine Tabs und das ist der Grund, warum wir uns immer noch mit target="_blank"
herumschlagen müssen. Einmal noch die Web-Philosophie: Eingriffe in die Grundfunktionen des Browsers muss der User selber kontrollieren können, sie dürfen von einer Website nicht auferlegt oder verhindert werden. Dazu gehören die Benutzung der »Vor-« und »Zurück«-Buttons, die Größe des Browserfensters, die Farbe der Scrollbalken, die Anzeige in der Statusleiste. Der Browser wird vom Nutzer kontrolliert und nicht von der Website.
Irgendwann stand mal in irgendeinem dummen Marketing-Buch, dass man dem User ganz deutlich machen muss, wenn er eine Website verlässt, damit er a) es bemerkt und b) auch wieder zurückfindet. Clevere Menschen trauen ihren Usern jedoch zu, dass sie a) anhand des veränderten Layouts bemerken, wenn sie eine neue Website betreten und b) den Zurück-Button ihres Browsers betätigen können. Damit verhindern sie das stetige Anwachsen der Browserfensteranzahl. Nette Geste, oder? Ich werde nicht müde, in diesem Zusammenhang die Anekdote von Martin Roell zu verlinken, die das Thema hoffentlich erschöpfend klärt. Dankeschön.
11. Auf das www bestehen
Lange Zeit hatte man, wenn man die Webadresse rmv.de aufrief, um eine Busfahrt mit dem Rhein-Main-Verkehrsverbung zu planen, nur eine schäbige Fehlermeldung zu Gesicht bekommen, ich weiß gar nicht mehr genau, welche. Zum Glück ist das inzwischen behoben. Doch das Gleiche passierte mir heute wieder, und zwar bei der wunderbaren Domain typo-berlin.de. Fügt man jedoch ein simples »www.« am Anfang ein, so erscheinen die Seiten in ihrer ganzen Herrlichkeit!
Früher, als man noch Musik von Ace of Base gehört hat, schrieb man Webadressen auch noch mit »http://« auf die Plakate. Das ist inzwischen nicht mehr so. Aber das »www.« ist auch heute noch nicht wegzudenken, obwohl es technisch und auch prägnantisch echter Humbug ist. Kürzer ist besser, und man kann den Leuten ruhig zutrauen, eine Webaddrese am «.de« oder «.com« zu erkennen. Glaubt mir, die schaffen das!