DIE ZEIT auf dem iPad
7. Oktober 2010
… ist eine seltsame Chimäre. Und hat einen bescheuerten Namen: ZEIT ONLINE plus App. Man kann mit dieser kostenlosen Applikation nämlich sowohl die wöchentlich erscheinenden Printausgaben von DIE ZEIT (nebst ZEIT MAGAZIN) erwerben und konsumieren, als auch auf die aktuellen Inhalte der Website zugreifen. Beide Modi sind voneinander getrennt und funktionieren auch ein wenig unterschiedlich.
Zunächst mal zu den Inhalten des Printmagazins. Im linken Drittel des Bildschirms befindet sich dauerhaft die Inhaltsangabe (oder »Navigation«, wenn man möchte), während auf der rechten Seite die einzelnen Artikel dargestellt werden (Der Hochkantmodus macht aus der linken Spalte ein PopOver, wie man das beim iPad gewohnt ist). Wählt man einen Artikel aus der Navigation aus, landet man zunächst üblicherwesie auf einer reduzierten Nur-Text-Version ohne besondere Gestaltung. Es ärgert ein wenig, dass man es nicht für nötig gehalten hat, irgendeinen Modus zu finden, um diesem nackten Text automatisch (oder halb-automatisch) um Bilder und Illustrationen zu bereichern. Die Devise lautet »Entweder oder«: Wem der nackte Text nicht schmeckt, wechselt per Knopfdruck zum jeweiligen Original-Printlayout. Dieses ist wiederum nicht sonderlich komfortabel, da die ZEIT bekanntermaßen ein riesiges Format besitzt und man sich den Wolf zoomen und scrollen muss, um die Texte halbwegs lesen zu können. Und dann die schreckliche Darstellung der Schrift! Offenbar handelt es sich um Pixelgrafiken, die hier gezoomt werden, nicht etwa um ordentliche PDF-Daten,bei denen sich ja nach ein paar Sekundenbruchteilen immer eine gewisse Schriftschärfe einstellt, wie man beim Betrachten von PDFs im GoodReader oder über iBooks beobachten kann. Umso blöder ist die Tatsache, dass es für das beigelegte ZEIT MAGAZIN gar keine Nur-Text-Version gibt. Das Herumeiern mit den Layout-Seiten ist so grauenvoll, dass man das schnell wieder sein lässt und dankbar für die Textwüsten der »großen« Hauptzeitung ist.
Die Darstellung und Handhabung der Website-Inhalte (»ZEIT ONLINE«) hingegen ist besser gelungen! Hier haben die einzelnen Artikel sogar Bilder und Bildunterschriften, sowie Kommentare und Links zu verwandten Artikeln. Das Layout ist übersichtlich und animiert zum Stöbern. Sichtbar sind jeweils bis zu fünf Artikel aus jedem der Ressorts – zusätzlich Bildergalerien und diverse Videoclips. Übrigens: ZEIT ONLINE auf dem iPad ist werbefrei und verzichtet angenehmerweise auch auf den ganzen kleinteiligen Icon-Schrott der öffentlichen Website. Diese könnte sich von der eleganten Schlichtheit der App auch noch einige Scheiben abschneiden…
Insgesamt wirkt die ZEIT-App durchaus komfortabel und aus lesetypografischer Sicht gut gestaltet. Doch bei der Umsetzung der Print-Artikel muss noch einmal nachgearbeitet werden: Die krasse schwarz/weiß-Entscheidung zwischen totaler Textwüste und hübschem, aber unlesbaren Originallayout muss einem Kompromiss weichen. Entweder man erstellt ein eigenes, adaptiertes Layout für jeden einzelnen Artikel der iPad-Ausgabe (wie es WIRED macht), oder man erfindet einen Algorithmus, mit dem man zumindest die Fotos und Illustrationen aus dem Print-Layout irgendwie sinnvoll automatisch platzieren und nutzbar machen kann. Das wäre den hochwertigen Inhalten, die die ZEIT eigentlich immer noch zu bieten hat, durchaus angemessen. Und der direkte Hamburger Konkurrent DER SPIEGEL schafft das ja auch.
Als Hintergrund vielleicht nicht uninteressant: Chefredaktuer Giovanni di Lorenzo redet im Interview mit Horizont über Geschäftsmodelle, Internet und den ganzen Kram. Naja.