Die Schreibsoftware Mellel in der Buchproduktion
2. Dezember 2012
Für das Projekt #webtypobuch galt es vor einigen Wochen ein paar kniffelige Entscheidungen zu treffen, die auch den Produktionsprozess betreffen. Abgesehen davon, dass ich keine Routine darin habe, Bücher zu setzen und drucken zu lassen, gab es hier ein paar besondere Fallstricke:
- Das Werk ist primär als »echtes« E-Book konzipiert und muss von daher in HTML gut abbildbar sein. Zeilenlänge, Seitenumbrüche und dergleichen sind flexibel zu gestalten.
- Gleichzeitig muss ein Werk über Typografie auch in gedruckter Buchform (und in der starren PDF-Version) eine überzeugende Figur machen
- Ich möchte den Text des Buches update-fähig halten, um im Idealfall auf Knopfdruck korrigierte oder erweiterte Versionen für alle Medien erstellen zu können.
Dieser hehre Anspruch ist leider nicht ganz aufgegangen. Die Idee war, die Schreibsoftware Mellel für Mac OS X zu verwenden, um einerseits die Druckvariante des Buches zu setzen und zu layouten. Andererseits plante ich, das Mellel-Dokument als Datenquelle zu verwenden, um daraus unkompliziert die HTML- und EPUB-Version stricken zu können. The Truth is in the .mellel
Die Chancen standen zunächst auch gar nicht schlecht! Mellel ist nämlich eine außerordentlich stabile und flinke Software, mit der es sich sehr schön arbeiten lässt. Abstürze sind extrem selten (ich habe nur einen einzigen erlebt), es wird viel OS-X-eigene Funktionalität verwendet, alles fühlt sich toll an. Das Mellel-Dateiformat ist praktischerweise nichts weiter als eine getarnte ZIP-Datei, die zum einen ein klar strukturiertes XML mit dem gesamten Textinhalt enthält; zum anderen alle Bilddateien in unveränderter Form, wie ich sie eingefügt habe.
Aus dem XML lässt sich per AppleScript ein ziemlich sauberes HTML-Dokument erstellen, welches nur noch ein kleines bisschen Suchen&Ersetzen-Liebe benötigt. Und PDFs zum Druck sind auch kein Problem, schließlich leben wir ja unter OS X im PDF-Schlaraffenland.
Dachte ich.
Die Probleme kamen, wie immer, zu eher ungünstigen Zeitpunkten und betreffen vor allem den Print-Bereich. Denn so großartig Mellel für jede Form von wissenschaftlichen Arbeiten sein mag, so bröckeln die Detailfähigkeiten dahin, wenn es um speziellere Aspekte der Buchgestaltung geht. Ein Auszug der Probleme:
- In Mellel lässt sich die Laufweite von Schrift nicht anpassen.
- Die Silbentrennung/Blocksatz-Funktion betrachtet keine ganzen Absätze, sondern nur die einzelne Zeile.
- Eigene Silbentrennungs-Regeln lassen sind nur umständlich eintragen
- Seitennummern lassen sich nur auf der allerersten Seite weglassen, nicht aber auf der zweiten, dritten oder vierten. Beim #webtypobuch sollen die Seitennummern aber erst auf Seite 7 beginnen. Das musste ich manuell im PDF anpassen.
- Ein hässlicher Bug beschneidet die Punkte der Großbuchstaben Ä, Ö, und Ü, wenn diese in der ersten Zeile einer Seite stehen. Lässt sich nachträglich im PDF ändern, ist aber höchst unerfreulich.
Das Hauptproblem jedoch ist der nicht vorhandene CMYK-Workflow. Auch wenn der verwendete OS-X-Farbwähler selbstverständlich CMYK anbietet, wird intern nur in RGB-Werten gerechnet und gespeichert, was sich dann auch auf das PDF auswirkt. Manche Druckereien (zum Beispiel die geplante On-Demand-Druckerei) haben damit kein Problem, weil sie sowieso zu 97% hässliche Word-generierte PDFs bekommen. Aber speziell meine Partnerdruckerei für die erste Auflage druckte die Textobjekte mit allen vier Druckfarben, was natürlich etwas fett und unscharf aussah. Aber klar – so war es im Dokument angelegt, denn ein reines RGB 0/0/0 wird rechnerisch nicht etwa zu CMYK 0/0/0/100 umgewandelt, sondern zu einer schwarz-braunen Matschepampe wie beispielsweise CMYK 75/68/67/90. Ich konnte mit einer eigenen Preflight-Funktion im Adobe Acrobat den Fließtext wieder in sauberes Druckschwarz umwandeln und erhalte die Lieferung der ersten Auflage hoffentlich am 5. Dezember.
Fazit: Das Zusammenstellen, Arrangieren und Fehlerkorrigieren hat mit Mellel große Freude bereitet. Die eigentliche Druckproduktion ist leider etwas dumm gelaufen. Sobald ich ein paar Tage Zeit habe, möchte ich das Buchprojekt jedoch zu InDesign umziehen. Dort lässt sich über Formatvorlagen-Mapping auch ein XML/HTML-Workflow etablieren, so dass ich frohen Mutes bin, für zukünftige Editionen des Buches (oder weiterer Bücher) gewappnet zu sein. Es war ein schönes Experiment, der Allmacht von Adobe zu entkommen. Funktioniert hat es nur so halb.
(Und nein, ich werde kein LaTeX verwenden.)