DER SPIEGEL auf dem iPad
31. Mai 2010
Ich werde heute beginnen, in loser Folge über diverse neue Magazin-Ansätze zu berichten, die es für das iPad (und andere kommende Touchtablets) gibt oder geben wird. Da ist einiges an interessanten Aspekten drin, die man beleuchten kann.
Wir beginnen mit dem SPIEGEL, der sich in der Kritik im Fontblog eine äußerst blutige Nase geholt hat. Ich teile diese Kritik jedoch nicht, sondern bescheinige dem SPIEGEL eine insgesamt gelungene erste iPad-Version – natürlich mit Verbesserungspotenzial.
Zunächst einmal: Die iPad-Version des SPIEGEL kommt als einzelne kostenlose App daher und enthält per default ein komplettes Probeheft (von letzter Woche. Ob das immer dieses Heft 20/2010 bleibt, oder ob es immer das letzte Heft relativ vom Downloadzeitpunkt sein wird, weiß ich gerade nicht.) In jedem Fall lassen sich dann innerhalb der App weitere Hefte dazukaufen oder Abos abschließen. Dies passiert nicht etwa über Apples In-App-Purchase-Funktion, sondern über eine eigenständige Abrechnung mit dem Verlag. Apple verdient demnach offenbar keinen Cent mit dem SPIEGEL. Die einzelnen Hefte werden dauerhaft offline gespeichert und sind angenehm klein (unter 10 MB würde ich schätzen.)
Inhaltlich handelt es sich um eine unveränderte Version des gedruckten Heftes (allerdings ohne Werbung) – mit Spiegel Online hat das nicht viel zu tun, außer, dass bei einigen Artikeln Querverweise zu Diskussionen im Spiegel-Online-Forum angebracht sind, was einen ziemlich cleveren Medienlink herstellt. Das Layout der Spiegel-App wird automatisch (wahrscheinlich clientseitig erstellt), was übrigens der größte Kritikpunkt im Fontblog-Bericht ist. Ich selber halte es nicht für verwerflich, ein umfangreiches Wochenmagazin wie es der Spiegel ist, auf dem iPad automatisiert darzustellen. Das Magazin ist sowieso sehr textlastig und auch das Heft strotzt ja nicht gerade für aufwendig gestalteten Doppelseitenkompositionen – das ist ja gerade das Markenzeichen der Hamburger. Insofern ist es gut, dass der Leser sich auf dem iPad das Leseformat so einrichten kann, wie er möchte: Querformat mit drei Spalten, Hochformat mit zwei Spalten, je zwei Schriftgrade zur Auswahl. Insgesamt also vier Möglichkeiten, wie die Seiten aussehen können – vielleicht ein bisschen zu unflexibel, wenn man es mit den Möglichkeiten einer Website vergleicht, aber ein okayer Start.
Generell ist der Text angenehm lesbar, wenn auch die Spalten (vor allem in der größeren Schrift) etwas zu kurz sind, so dass der Flattersatz (ohne Silbentrennung) ein wenig nervt. Hier wäre eine Ein- oder Zweispaltenoption hilfreich, und natürlich eine clientseitige Silbentrennung. Die Schriftart an sich jedoch geht meines Erachtens voll in Ordnung, und auch der Zeilenabstand stimmt. Meines Erachtens kann man sowas wie den Spiegel also durchaus automatisiert layouten lassen und trotzdem am iPad angenehm lesen – ein paar Stellschrauben sollte man aber mit dem nächsten Software-Update nachschieben: Silbentrennung, Vermeidung von Hurenkindern, vielleicht eine intelligentere Platzierung der Bilder usw. Dramatisch finde ich diese Probleme jedoch nicht.
Schlimmer ist das Fehlen der offensichtlichsten Funktion überhaupt: keine Volltextsuche! Hallo? Man kann zwar über eine textliche Inhaltsübersicht (vertikal, oben) und einen grafischen Artikelleiste (horizontal, unten) ganz gut stöbern, aber eine Suche nach Stichpunkten muss unbedingt noch folgen!
Die größte Frechheit ist jedoch ganz klar der Preis! Eine einzelne Ausgabe kostet mit 3,99 € sogar ganze 19 Cent mehr als die gedruckte Version am Kiosk! Gut, ich habe drei Vorteile:
- Muss nicht zum Kiosk laufen
- Spare mir das gezielte Blättern zu gewünschten Artikeln
- Habe keine Werbung
Das alles wiegt jedoch nicht den Vorteil des Heftes auf, denn das
- lässt sich immer noch besser lesen
- Ist trotz nüchternen Spiegel-Layouts besser inszeniert
- Ist ein physisches Produkt, was verliehen oder verschenkt werden kann
Ein angemessener Preis wäre also 2,50 € (ohne Werbung) oder 1,50 € (mit Werbung), um sich deutlich von den 3,80 € der Printausgabe abzusetzen. Denkt da bitte noch einmal drüber nach! Ansonsten hoffe ich auf weitere Verbesserungen der App an sich, und ein bisschen auch auf eine höhere journalistische Qualität, denn die war früher irgendwie besser. Aber das ist eine andere Diskussion.
update 29.11.2011: Auf den Desktop gibt es jetzt eine Webapp des Magazin-Spiegels. Hierzu meine Meinung.