Cardo

Cardo - Die Schwester der Bembo

Verschiedene Menschen haben verschieden Gründe, Schriften zu entwerfen. Meistens hat das, zumindest teilweise, mit dem Hin und Her von bedruckten Papierscheinen zu tun. Nicht so bei David J. Perry. Er ist Lehrer an der Rye High School in New York und außerdem Mitglied bei MUFI, der Medieval Unicode Font Initiative. Wie der Name schon andeutet, will die MUFI Schriften gestalten, die die Vorzüge der gut lesbaren Renaissance-Antiquas mit dem Anspruch einer möglichst umfangreichen Unicode-Unterstützung verbinden.

David J. Perry hat sich ein sehr altes Schriftstück herausgesucht, um aus dessen Buchstabenform eine neue Schrift zu entwerfen. Es handelt sich dabei um das Buch »De Aetna« aus dem Jahr 1495. Verfasst hat es ein gewisser Kardinal Pietro Bembo. Und genauso, nämlich Bembo, heißt auch eine sehr beliebte Satzschrift, die 1930 von Monotype herausgebracht wurde. Beide Fonts basieren auf der gleichen Vorlage.

Charakteristik

Diese Vorlage ist gut gewählt. Denn wie auch die Bembo ist die Cardo eine ganz hervorragend lesbare Schrift, die sehr vielen typografischen Aufgaben gewachsen ist.

Text in der Cardo

Die Cardo ist ausgeglichen, prägnant und zeitlos. Ihr Grauwert besitzt Lebendigkeit und weist schicke Akzente auf, ohne dabei zu unruhig zu werden oder gar zu flimmern. Vielmehr lädt sie durch ihren freundlichen Rhythmus sehr zum Lesen ein. Sie ist nicht so rundlich-kuschelig wie die Garamond, dafür spritziger und ein bisschen rougher.

Cardo Lauftext

Die Einzelbuchstaben zeichnen sich durch viele kleine Details aus, die man so bei anderen Schriften nicht sehen wird. Das Auge kann wunderbar die Einzelbuchstaben identifizieren und diese zu Wortbildern zusammensetzen. Das macht sie besser lesbar und charakterstärker als eine aalglatte, »moderne« Antiqua wie z. B. die Utopia (die aber wieder ganz andere Qualitäten besitzt).

Buchstaben der Cardo

Im Detail: Das kleine t hat einen eigenwilligen Knick im Kopf-Bereich. Das große R läuft am Fuß wunderschön nach unten aus. Der Bauch des kleinen a ist sehr klein und tief angesetzt. Das kleine r besticht durch sein krude geformtes Fähnchen. Und das große W ist – groß. Und besteht aus zwei komplett abgebildeten großen V.

Umfang/Ausbau

Es gibt immer zwei Arten von hochwertigen Freefonts: Wenn es viele Sonderzeichen gibt, gibt es wenig verschiedene Schnitte. Bei einer kompletten Schriftfamilie fehlt dafür dann meistens das scharfe ß, aber zumindets das €-Zeichen. Die Cardo ist eindeutig der ersten Gruppe zuzuordnen. Obwohl David Perry angeblich schon fleißig an der Kursiven arbeitet, gibt es bisher leider nur den Regular-Schnitt. Damit muss man leben.

Sonderzeichen der Cardo

Das Angebot an Sonderzeichen ist allerdings schon fast unanständig! Hebräisch? Jawohl. Altgriechische Musiknotation? Kein Problem. Hier findet man alles, was man braucht. Und noch sehr viel mehr.

Die Cardo in der Praxis

Mit dem einen Schnitt muss man zwar leben – kann man aber auch. Denn wenn es eine Schrift gibt, die man für lange (und noch viel längere) Texte verwenden kann, so ist es diese. Romane sind das Spezialgebiet. Aber auch im wissenschaftlichen Bereich ist es sehr gut möglich, mit der Cardo zu arbeiten. Vor allem, wenn es um Geschichte, Sprache, Literatur und Kultur geht. Dafür wurde sie schließlich gemacht. Eins ist klar: Hip und cool ist was anderes. Aber wer etwas seriöses braucht und komfortabel gelesen werden will, der ist mit der Cardo exzellent beraten.

Rechtliches

Ich frug David J. Perry:

Now I read that Cardon is only free for non-commercial use. One must buy a license when using it for profit reasons. Well, to come to the point: Do you have any price lists?

Er antwortete:

Well, actually, I don’t! Only one person has ever asked about commercial use. That was for a scholarly book and, as you know, highly specialized academic books don’t sell very many copies. So I didn’t charge her anything. In any case I wouldn’t charge a great deal. You can buy most good-quality fonts for around US$30–50 so I suppose it would be in that range. In any event, commercial users would probably want the bold and italic versions which are not yet available, although I hope that they will be by mid-2005 (the boldface probably sooner).

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