Aufmerksamkeitsspanne und Medien
19. Februar 2011
Vor ein paar Tagen wurde ich von zwei charmanten Volontärinnen über das »Lebensgefühl der Um-die-Dreißig-Jährigen« interviewt (Details zum Wo und Wann folgen bei Gelegenheit). Natürlich haben wir unter anderem über Medienkonsum geredet, und insbesondere eine Fragestellung fand ich interessant, und zwar die nach der angeblich verkürzten Aufmerksamkeitsspanne unserer Generation.
Ich wusste neulich keine souveräne Antwort darauf, habe mir aber im Anschluss ein paar Gedanken dazu gemacht, denn das Thema ist äußerst differenziert zu betrachten: Zum einen wird wichtigen Botschaften heutzutage von YouTube quasi eine 10-Minuten-Taktung auferlegt und von Twitter eine 140-Zeichen-Begrenzung. Zum anderen gibt es aber gleichzeitig beliebte dreistündige Podcasts, in denen Themen wie das Gesundheitswesen in all ihrer Ausführlichkeit betrachtet werden.
Im traditionellen Live-Fernsehen werden Dinge mit einer tatsächlichen Laufzeit von vielleicht einer halben Stunde mittels Moderation, Wiederholungen, Einspielern und natürlich Werbeblöcken auf drei oder vier Stunden ausgedehnt (DSDS, I’m looking in your direction!) Gleichzeitig kann man sich TV-Mitschnitte von Telenovelas in komprimierter Form bei YouTube ansehen: Wenn einen sowieso nur das Eifersuchtdrama um Jenny und Marcel (Symbolnamen) interessiert, gibt es entsprechend von Fans zusammengeschnittene Epsioden von »Jenny – Lebe deinen Traum« (Symboltitel), die keine anderen Handlungsstränge enthalten.
Ich bin nicht sicher, aber eine mögliche These wäre, dass viele Mitglieder unserer Generation ein Gespür dafür entwickelt hat, bei welchen Inhalten es sich lohnt, sich Zeit zu nehmen und ganz tief einzusteigen. Oftmals sind es die Nischenthemen, bei denen Enthusiasten wirklich sehr lange Aufmerksamkeitsspannen entwickeln. Das Internet in seinen diversen Ausprägungen ermöglicht seit einigen Jahren diese extreme Vertiefung auch bei grotesken Randthemen wie »korrekte semantische Auszeichnung von HTML-Formularelementen«, über das in diversen Foren und Blogs hunderte von »Buchseiten« geschrieben wurden.
Auf der anderen Seite sind einige von uns gnadenloser und ungeduldiger geworden, wenn es um das Überspringen von Füllmaterial geht. Wir kaufen nur noch einzelne Stücke eines Musik-Albums, Schauen YouTube-Zusammenfassungen von TV-Events, weil sich manche Dinge tatsächlich erschöpfend in 10 Minuten darstellen lassen. (Manchen reicht womöglich auch einer 140-Zeichen-Schilderung.) Wir leben auch in einer Zeit, in der andere Menschen für uns Dinge knapp und kurz stückeln, so dass wir uns die aufgeblähte offizielle Präsentation nicht angucken müssen. Es ist natürlich trotzdem großartig, dass wir uns – wenn wir wollen – spielend leicht mit beliebig detailliertem Material versorgen können.
Experten können sich also ungehemmt lange informieren und austauschen, aber sind sich nicht zu schade, ihre Spezialthemen gleich für die Semi-Interessierten zu filtern und zusammenzufassen. Nett, oder nicht?
Als ich mir heute in der ZDF-Mediathek die erste Folge von Pelzig hält sich angesehen habe, habe ich übrigens bemerkt, wie verdammt kurz so ein Gespräch mit einem der Gäste ist, und wie überrascht ich war, dass beispielsweise Pelzig und Rezzo Schlauch nicht 3 Stunden miteinander geredet haben, weil ich sowas beim Chaosradio-Express nun mal anders gewohnt bin. Eigentlich schade: Erwin Pelzig wäre ein guter politischer Tim Pritlove.