Adobe und das Web
29. November 2018
Bereits seit den Anfangstagen meiner Webdesign-Karriere war Adobe immer bestrebt, uns Webworkern ein maßgeschneidertes Angebot zu unterbreiten, auf dass das Zukunftsfeld Internet mit der gleichen digitalen Kreativität beglückt werden könne wie die Printwelt, wo Adobe seit jeher der unangefochtene Platzhirsch ist.
Anfangs war das ausschließlich der WYSIWYG-Editor GoLive, später kaufte man mit Macromedia den wesentlich webaffineren Konkurrenten vom Markt, platzierte damit die etwas beliebtere WYSIWYG-Lösung Dreamweaver ins eigene Portfolio und glaubte an eine große Zukunft von Flash im Webdesign-Business, während man Fireworks (Bildbearbeitung für Webgrafiken) und ColdFusion (Serverskriptsprache) stiefmütterlich in der Versenkung verschwinden ließ.
Es folgte ab ca. 2010 unter dem Codenamen Adobe Edge eine Reihe von halbherzig-experimentellen Softwareprodukten für Webentwickler*innen, die nie so richtig gezündet haben (Animate, Reflow, Code, Inspect). Spätestens zu dieser Zeit begann Adobe auch immer stärker, sich an die inzwischen cool gewordene Webentwicklungs-Szene ranzuwanzen, entsprechende Events zu sponsoren, Blogger*innen mit Geld zu bewerfen und einen Image-Wandel zu versuchen. Selbst ein paar Vorschläge zur Erweiterung von CSS-Eigenschaften kamen in dieser Zeit von Adobe.
Im gleichen Atemzug verleibte Adobe sich 2011 den noch jungen Webfont-Service Typekit ein, und gliederte ihn vor wenigen Wochen nun komplett in die eigene Produktmietwelt CreativeCloud ein, wo das einst coole Startup leider nur noch ein Schattendasein fristen wird.
In den Adobe Labs köcheln zusätzlich seit Jahren jede Menge Kuriositäten fürs Web, beispielsweise Adobe Muse, mit dem man ohne Code-Kenntnisse halb-responsive Websites basteln kann, welche nach meinem Dafürhalten aber lediglich Prototypen-Qualität besitzen. Nichtsdestotrotz wird das Tool unter Designer*innen als legitimer und schlanker Dreamweaver-Nachfolger gefeiert. Das kürzlich bekannt gegebene Muse-Sunsetting hat zu vielen traurigen Reaktionen geführt.
Derzeit wird aber vor allem Adobe XD gepusht, ein codefreies Web-Prototypen-Tool, allerdings vernünftigerweise ohne die Möglichkeit, die Ergebnisse auch tatsächlich als Website zu exportieren, wie das in Muse der Fall war.
Und diese Aufzählung ist beileibe noch nicht komplett.
Weite Teile dieser mannigfaltigen Web-Bemühungen in den letzten 20 Jahren dürfen aus meiner Sicht als gescheitert angesehen werden. Adobe hat in der Webwelt nie richtig Fuß fassen können. Ich frage mich bisweilen, woran das liegt.
Ganz klar hat es etwas mit der Geschwindigkeit zu tun, in der sich die Art und Weise verändert, wie wir Websites vorgestern, gestern und heute entwickeln:
- Dass Flash im Webdesign nicht komplett zünden wird, konnte man 2003 nicht unbedingt ahnen.
- Dass Mobile und Responsive alle Vorstellungen von Web-Layout auf den Kopf stellen würden, darauf hätte man 2009 nicht gewettet.
- Dass eine Vektorsoftware, die komplett auf SVG aufbaut und nur auf dem Mac verfügbar ist (Sketch), das beliebteste Tool für visuelles Prototyping und Webdesign sein würde – nicht vorstellbar im Jahr 2011.
- Dass wir heute Buildprozesse, Toolchains und Deployments mit tausenden Abhängigkeiten über „Server-JavaScript“ (= Node.js) steuern, wäre 2012 eine lächerliche Vorstellung gewesen.
Adobe kann bei diesen schnellen Paradigmenwechseln nicht mithalten, dafür ist die Firma zu groß und schwerfällig – allen Edge-Initiativen und experimentellen Laboratorien zum Trotz. Echte Innovation gibt es leider nur in zugekaufter Form (Macromedia, Typekit), um sie dann kaputtzuvereinheitlichen, und zwar stets zielsicher am Bedarf der maßgeblichen Kundschaft vorbei.
Ein weitere Faktor ist aber auch der starre Fokus auf die kreativen Designer*innen als Zielgruppe. Adobe ignoriert immer noch die massiven technischen und kulturellen Unterschiede zwischen Print, statischem Screen und dynamischem Web. Für den Konzern sind das alles nur unterschiedliche Ausspiel-Medien der gleichen Kreativität. Es beginnt bereits mit der Wortwahl – ein Großteil der professionellen Webentwickler*innen würde sich eher die rechte Hand abhacken, als kreativ genannt zu werden. Webdesigner ist ein verbranntes Wort (auch wenn ich es mit trotzigem Stolz immer noch verwende). Adobe richtet sich an alle Arten von visuellen Designer*innen, ohne zu verstehen, dass Frontend-Entwickler*innen keine Designer*innen sein mögen. Also werden sie die Frontend-Entwickler*innen, die heute die maßgeblichen Personen im Web darstellen, auch nicht als Kund*innen gewinnen können.
Das Web bewegt sich sich in eine Richtung, in der die Art von Webdesign, wie sie sich Adobe vorstellt, immer weniger wichtig wird. Die Integration von Photoshop ist völlig irrelevant, wenn man nach einem groben Sketch-Mockup sofort in einen echten HTML-Prototypen wechselt. Wer direkt CMS-Templateschnipsel in HTML und Sass umsetzt, braucht keinen XD-Klickdummy mehr. Je agiler der Workflow, desto weniger werden Entwürfe 1:1 abgesegnet, die zuvor im CreativeCloud Showroom bestaunt werden konnten. So läuft das alles nicht mehr – zumindest immer seltener.
Ob da nochmal was kommt? Ich bezweifele es. Selbst Microsoft hat jüngst mehr Gespür bewiesen und mit Visual Studio Code und dem Kauf von Github zwei Volltreffer ins Herz der Webgemeinde gelandet. Soll Adobe
abermals auf Einkaufstour gehen? Sich dabei Sketch, CodeKit, Fontspring und Tower kaufen? Wohl eher nicht, solange nur ein CreativeCloud-Kunde ein guter Adobe-Kunde ist. Webworker sind jedoch untreu, sie wechseln ihren Werkzeugkoffer öfter als die Unterhose – das sind keine rosigen Aussichten für einen Konzern, der auf beständigen Geldfluss und die Alternativlosigkeit seiner Software setzt.