Abstraktion und Virtuelle Haptik im Interface Design

Vor ungefähr 30 Jahren wurde in den Xerox-Laboren das Konzept des »Desktops« erfunden. Die Idee war es, auf dem Computerbildschirm statt abstrakten Listen, Menüs und Tastaturbefehlen den regulären Büro-Schreibtisch nachzuahmen.

Diese Grundidee wurde bis heute immer wieder verfeinert und hübscher gemacht. Immer wieder gab es Vorstöße von experimentellen Interface-Designern, die den virtuellen Desktop immer realer, immer physischer wirken zu lassen.

Einen sehr hübsch anzusehenden Versuch zeigt dieses Video des Dynamic Graphics Project.

In den realen, produktiven Arbeitsumgebungen haben sich die ganzen 3D-Techniken jedoch nie durchzusetzen gewusst. In allen modernen Betriebssystemen bleibt es bei einer eher abstrakten Version des Desktops, der nur zu einem geringen Grad physisches Verhalten an den Tag legt. Und ich meine: mit Recht! Denn die Grundannahme, man müsse auch am Rechner unbedingt die physischen Methoden zur Informationsstrukturierung und -sortierung nachbilden, weil sie uns in Fleisch und Blut übergegangen sind, halte ich für einen Irrglauben. Diese Methoden sind nämlich per definitionem beschränkt – durch die Physik!

Mit den computertypischen abstrakten Listen und Menüs, die in vielen Fällen eben kein Pendant in der physischen Welt haben, lassen sich oftmals die Informationen viel besser organisieren. Guckt man sich dieses Video vom dgp an, so fragt man sich doch ständig, wie man sich die vielen komplexen Aktionen überhaupt merken kann. Der Einstieg ist auf jeden Fall schwer zu leisten, und zumindest ich überlege mir ständig, ob das wirklich eine Effizienzersparnis darstellt, gerade wenn es um die Organisation von größeren Dateimengen geht als nur eine Handvoll PDFs und 6 sorgfältig ausgewählte Fotos.

Ähnliche Gedanken kommen mir auch immer, wenn ich Leute mit dem virtuellen Tonstudio Reason hantieren sehe.

Das ist ja alles ganz toll, wenn man sich mit Hardware-Synthesizern auskennt. Aber ist die Bedienung dieser physischen Geräte wirklich die bestmögliche, so dass es sich lohnt, die Bedienkonzepte auch auf den Rechner zu übertragen, wo man ganz andere Möglichkeiten hat und lange nicht so beschränkt ist? Da sind doch ganz andere Dimensionen der UI-Gestaltung denkbar – ich würde mich beengt fühlen, wenn ich auf die Nachbildung der physischen Welt beschränken müsste, statt einfach den Kopf frei zu machen und eine eigenes, mediumgerechtes Bedienkonzept zu entwickeln. Es muss ja nicht so hässlich sein wie bei vvvv, aber hier geht man wenigstens den Weg einer konsequenten Abstraktion von Vorgängen und Zuständen.

Vielleicht fehlt es aber auch nur an entsprechenden Datenhandschuhen oder Multitouchscreens. Wenn man mal über die Benutzung mit der Maus hinaus denkt, ist da ja so einiges vorstellbar:

Und damit einen schönen Sonntag, Ihr Lieben!