Podcastday2006 Retrospektive

Man tut sich ja generell schwer bei der objektiven Beurteilung von Veranstaltungen, bei denen man mehr als nur reiner Zuschauer ist. So auch beim Podcastday2006.

Man kann zwischen zwei Teilnehmer-Gruppen unterscheiden, die jeweils ihre eigenen Erwartungen hatten, was den gestrigen Tag angeht. Da wären zum einen die regulären Teilnehmer des medienforums.nrw, also Journalisten, Rundfunkmacher, Redakteure, Medienwissenschaftler etc. Sie kamen zahlreich und waren an Podcasting und Blogging – aus verschiedenen Gründen – extrem interessiert, wie man das eben derzeit überall beobachten kann. Die meisten Diskussionsrunden waren gut besucht und das Publikum fragte, hinterfragte und machte Statements. Sehr schön. Es blieb ihnen allerdings kaum etwas anderes übrig, denn es gab parallel zum Podcastday keine anderen Veranstaltungen auf dem medienforum. Insofern eine gute Ausgangsposition :-)

Doch es gab auch private Podcaster und einige (teils bekannte) Blogger, die zum Podcastday gekommen waren. Dies hatte dann wieder diesen schönen Klassentreffen-Charme. Man konnte sich trefflich über die mehrheitlich vertretenen Anzugträger auslassen und sich dabei ganz checkermäßig fühlen, weil man den vermeintlich ahnungslosen TV-Leuten so unendlich viel voraus hat. Natürlich waren wieder – ähnlich wie damals auf der IFA – fast alle deutschen Podcast-Ikonen am Start, die man sich vorstellen kann und die man kaum gesondert erwähnen oder verlinken müsste. Doch erfrischenderweise lernte ich auch einige Newcomer kennen, deren Sendungen ich mir demnächst zu Gemüte führen werde, als da wären Facts you don’t need to know , Winnie und einige unabhängige Musikschaffende, die Podcasting dankenswerterweise als echte Chance sehen.

Kommen wir zum Kern der Veranstaltung: Die Panels. Natürlich kann ich die objektive Qualität nicht gut beurteilen, da ich voreingenommen und mit den meisten Themen schon sehr vertraut bin. Somit habe ich natürlich keine wirklich neuen Dinge erfahren, ganz einfach, weil ich mich mit der Materie seit fast zwei Jahren schon intensiv beschäftige. Dennoch erschien mir das Potenzial, was durch die Zusammenstellung der Köpfe auf den Panels zweifelsfrei vorhanden war, nicht optimal genutzt. Die strenge Moderation bremste oftmals die Diskussion ab, die Referenten waren mir zu wenig emotional und enthusiastisch. Ein bisschen zu lahm, ein bisschen zu höflich alles, jedenfalls für meinen Geschmack. Die meisten guten und frechen Fragen kamen eher aus dem Publikum und waren so nahe liegend, dass man sich wunderte, warum das den Experten nicht selber eingefallen war. Doch es kann sein, dass das Tempo für die anwesenden Nicht-Podacster und Nicht-Blogger auch genau richtig war. Man weiß es nicht.

Im ersten Panel redeten die Couchpotatoes, Thomas Wanhoff, Mario Sixtus und Nico Lumma über das Web2.0-Dingens und es entspann sich eine feine und ergebnisreiche Diskussion über die Daseinsberechtigung des Rundfunk (darf bleiben), seine Qualität (muss besser werden), die Zweitverwertung als Podcast (geht okay) und die Verdrängung der unabhängigen Podcasting-Szene (wird schon nicht passieren, dank Tagging und Portalen). Besonders scharfsinnig äußerte sich stets Mario Sixtus, Nico Lumma wirkte eher gelangweilt, insgesamt ging das Panel aber in Ordnung. Wichtigstes Zitat: “Web2.0 ist all das, was Mario schreibt.”

Aus dem zweiten Panel “Radio und …” bin ich nach 5 Minuten frustriert wieder rausgegangen, weil es unendlich langweilig war.

Schön zu sehen dann im dritten Panel, wie sich die Musikindustrie (repräsentiert durch Thomas Stein) und die GEMA (repräsentiert durch Dr. Urban Pappi) rhetorisch gewunden haben, um ihre eigene zukünftige Daseinsberechtigung zu verteidigen. Sinngemäß: “Natürlich könnte eine Band in Zukunft Produktion und Vertrieb ganz alleine machen – aber das ist doch alles viel zu aufwändig, das will doch eigentlich niemand machen!” Nein. Eben nicht mehr! Man muss keine CDs mehr brennen und per Post verschicken. Der Eigenvertrieb ohne GEMA, GVL und Musikindustrie wird Realität. Das kam mir zu wenig raus, es wurde zuviel problematisiert. Immerhin: Nebenbei erfuhren wir mit offenen Mündern, dass die GEMA sehr wohl seinen Mitgliedern nach Wunsch die Möglichkeit einräumt, über den Online-Sektor der Verwertung komplett selbst zu bestimmen. Jedenfalls hat dies Pappi glasklar behauptet. Und der muss es ja wissen. Lügt der Mann?

In meinem “eigenen” Panel ging es dann um den digitalen Lifestyle und den Medienkonsum der Zukunft. Das Thema war ein wenig schwammig, aber wir haben uns, glaube ich, ganz gut durchgewuselt und ein paar Kernaussagen rübergebracht, über die auch allgemeiner Konsens herrschte. Die spannendste Frage kristallisierte sich dann etwa nach der Hälfte heraus: Wie aktiv oder passiv ist der Medienkonsument der Zukunft? Dennis Mocigemba zitierte seinen ehemaligen Professor mit der schönen Idee vom menschlichen Grundbedürfnis auf Faulheit, während ich ein bisschen dagegen gehalten habe und auch auf die jüngere Generation der 14-jährigen verwies, die mit spielerischer Leichtigkeit dem Vollprogramm der TV-Sender entgehen. Wird man in 10 oder 15 Jahren noch durch 25 fest definierte TV-Programme zappen und am Ende das gucken, was am wenigsten weh tut? Oder läuft alles über explizit ausgewählte und sich halbautomatisch organsierende Listen von Rosinen aus dem großen Content-Kuchen?

Doch über die von mir besuchten Panels hinaus waren es zwei sehr aufregende und lustige Tage hier in Köln. Ich habe endlich Annik und Timo getroffen, mich mit Alex Wunschel über den Tellerrand unterhalten. Ich saß mit den Couchpotatoes in einem Taxi, dass mit Tempo 120 durch Köln brauste, hing in der Hotel-Lobby mit C.C. Chapman und Ewan Spence ab und traf zu guter letzt, nach eineinhalb Jahren, auch Nicole Simon. Und wenn das alles nichts ist, dann weiß ich auch nicht.

Ich erlaube mir ein pathetisches Schlusswort: Wenn die private Podcasting-Szene vom Charakter her so bleibt, wie sie derzeit aufgestellt ist, reicht mir das vollkommen aus, egal, wieviele Hörer/Downloads/Feedzugriffe wir alle tatsächlich haben. Das sind alles unglaublich nette und offene Menschen, die aus Spaß und Enthusiasmus eine Sendung für eine Handvoll Hörer machen und damit den etablierten Medien eine Handvoll Hörer wegnehmen. Wie groß diese Handvoll in Zukunft werden wird, weiß ich nicht. Und ehrlich gesagt: Es interessiert mich auch nur am Rande. Geld wird wohl nie mein Thema sein. Geld engt nämlich die künstlerische und journalistische Freiheit ein und macht den Spaß kaputt. Das merkt man dann. Und das wollen wir nicht.

update: 3sat neues hat einen “Bericht als Stream”:rtsp://real.mdcs.dtag.de/zdf/3sat/neues/neues_060527_cum_h.rm, in dem ich auch 7 Sekunden lang zu sehen bin!