Berlin-Tagebuch, Teil 4+5

Was haben sie sich nur dabei gedacht, die Organisatoren der Web 2.0 Expo in Berlin? Bisher war ich der Meinung, klassische Konferenzen wären entweder lustlos oder unprofessionell organisiert. Die W2E war beides!

Wobei »Konferenz« ja viel zu kurz greift: Die W2E war die unübersichtlichste Veranstaltung, die ich je erlebt habe. Es gab sogenannte Workshops (= dreistündige Vorträge auf seichtem Niveau), Conference Breakout Sessions (= einstündige Vorträge auf seichtem Niveau), Ignites (= fünfminütige Vorträge mit hohem Selbstbeweihräucherungsfaktor), Keynotes (= pseudovisionäre Vorträge auf dem Stand von 2005), eine Ausstellung und auch eine integrierte, barcampähnliche Unkonferenz in drei Messe-Containern, die jemand mitten auf dem Ausstellungsgelände abgestellt hatte.

Tim O�Reilly

Doch die unübersichtliche Struktur des Ablaufs und der Räumlichkeiten wäre ja zu verschmerzen gewesen, wenn es wenigstens gute Inhalte gegeben hätte. Doch leider war das Hauptmotto nicht etwa »Bringing the european web community together«, sondern »Showing the european web community some concepts that were revolutionary in the US two years ago«. Ich weiß nicht, für wie unerfahren und hinterwäldlerisch man uns einschätzt, aber auf einer Developer-Session im November 2007 muss man nicht mehr erklären, was Ajax ist und was man damit machen kann.

Simon Willison

Nun, man sagt ja immer, dass auf Konferenzen nicht die Vorträge das Spannende sind, sondern vielmehr die Begegnungen mit den Leuten. Oder dann zumindest das leckere Essen. Tja – ach hier gibt es Enttäuschendes zu berichten! Durch das Barcamp am Wochenende hatte man alle interessanten Leute schon gesehen. Und was das leibliche Wohl angeht – nun ja. Von einer Konferenz mit einem regulären Eintrittspreis von über 1000 Euro kann man doch wohl eine warme Mahlzeit für alle Teilnehmer verlangen und unbegrenzt Erfrischungsgetränke! Statt dessen gab es lediglich Kaffee und zur Mittagszeit ein Lunchpaket mit einem Sandwich, einem Apfel, einem Mars-Riegel und einem Tetrapak mit stillem Wasser: Schullandheim 2.0! Selbst auf dem Weltjugendtag in Köln ging’s deutlich reichhaltiger zu – für einige Millionen Teilnehmer. Und wer sich nach gemütlichen Sitzecken zum Lunch-Verzehr und Smalltalk umschaute, wurde ebenfalls enttäuscht: keine Stühle und keine Tische außerhalb der Vortragsräume! Wenn schon Schullandheim, dann richtig: Auf dem Boden sitzend kann man schließlich auch Spaß haben.

Ich weiß ja nicht, ob das alle so geplant war, aber in meinen Augen ist das alles eine Frechheit. Aufgewärmte Themen, unübersichtliche Struktur, katastrophale Versorgung und ein Tim O’Reilly, der in seiner Keynote eine aus Datenschutz-Sicht höchst bedenkliche Vision für die Zukunft zeichnete.

Ich habe mich heute, Dienstag, nach dem Mittagessen abgeseilt, hier gibt es nichts mehr zu sehen. Zurück zum Tagesgeschäft. Immerhin: Ich konnte auf der Ausstellung vier T-Shirts von verschiedenen Firmen abstauben. Ein untrügliches Zeichen, dass die Blase wieder da ist. Ich habe seit dem Jahr 2000 auf keiner einzigen Messe ein T-Shirt mehr abstauben können.

Und weil ich es versprochen habe, möchte ich hiermit aber noch die Damen von der Garderobe lobend erwähnen – die haben ihren Job wirklich sehr zuvorkommend und gut gelaunt durchgeführt. Danke dafür!

Klar, einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Aber man hat sich von den ganzen Bloggernasen und Barcampern (die allesamt nicht bezahlt hatten) wohl ein bisschen Authentizität und Edgyness erhofft, die auf die ganze Konferenz ausstrahlen sollte. Aber gelangweilte und hungrige Bloggernasen neigen eben zum Maulen und Meckern. So auch ich, sorry.

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