Ist Podcasting noch zu retten?

Auf der New Media Expo in Las Vegas/USA wurde dieses Jahr Podcasting zu Grabe getragen. Eine traurige Angelegenheit, für alle Beteiligten. Aber wahrscheinlich die einzig richtige Reaktion auf das, was diesem jungen und aufstrebenden Medium in den letzten Monaten so alles widerfahren ist.

Podcastingrip

Natürlich ist das alles ein wenig polemisch, denn wer würde einer Technologie den klinischen Tod bescheinigen, die weltweit von Millionen von Menschen genutzt wird, und die wahrscheinlich jeder dritte Internetsurfer von Namen her kennt? (Genaue Zahlen habe ich nicht parat; dies ist ein Essay, keine Studie). Nun, es kommt darauf an, wie man den Tod definiert. Wenn eine Kombination aus »umgedeutet«, »missinterpretiert«, »überdeckt«, »veralltagt« und »corporatisiert« für einen Totenschein ausreicht – so sei es denn. Außerdem glaube ich persönlich, dass die Anzahl der »echten« Podcast-Nutzer ziemlich gering ist. Doch was sind »unechte« Podcasting-Nutzer, möchten Sie wissen? Ganz einfach: Lesen Sie einfach diesen Artikel, dann wissen Sie, was ich meine!

Zunächst einmal: Ich bin immer noch ein unfassbar großer Podcasting-Fan. Kein Wunder, habe ich doch in den Anfangstagen (Ende 2004 bis Ende 2005) dieses Medium durchaus mitgeprägt, teils durch mein Podcasting-CMS Loudblog, teils durch meinen eigenen privaten Podcast praegnanz.de/podcast und vielleicht auch ein bisschen durch die Mitbegründung des Vereins deutschsprachiger Podcaster e. V. Inzwischen bin ich jedoch nur noch Podcasting-Hörer – sieht man von gelegentlichen Gastauftritten in meinen Lieblingssendungen ab, die da wären: bits & so, Technikwürze und Werbeblogger.

Diese drei Beispiele sind übrigens gut: Es sind echte Audio-Podcasts. Und zwar nach der alten, ursprünglichen Definition: Regelmäßig oder unregelmäßig erscheinende Media-Dateien, die sowohl über eine Website, als auch über einen RSS-Feed zum Download-Abo angeboten werden. Besonders wichtig dabei: Es handelt sich immer um eine Serie von downloadbaren Dateien. Keine Einzelproduktionen, keine Streams. Diese Betrachtung führt uns direkt zu …

Todesursache Nr. 1: Podcasts, die keine sind

Wie schon gesagt: Podcasting ist in aller Munde. Doch weiß eigentlich jeder, wovon er da spricht? Natürlich nicht. Neulich nahm ich an einem Kundengespräch Teil, wo es darum ging, eine Corporate Website für ein großes B2B-Unternehmen zu konzipieren. Zögerlich schlugen wir vor, man könne ja über einen Corporate Podcast nachdenken – »Jaja, das haben wir uns auch schon überlegt! Ein Blog auf keinen Fall, da muss man ja ständig was schreiben. Aber so zwei, drei Podcasts auf der Seite würden das gut auflockern!«

Tja, was soll man sagen? Der Begriff »Podcast« steht de facto (zumindest im deutschsprachigen Raum) für eine Audio- oder Videodatei im Netz. Nichts von wegen Serie, regelmäßig, Feed, Download. Alles egal, Hauptsache es bewegt sich und/oder macht Krach. Das ist ein Podcast. Na, dankeschön. das hatten wir 1997 auch schon mit RealAudio und Konsorten.

Witziges Detail am Rande: Dort, wo man mit Fug und Recht von einem echten Podcast sprechen kann, ist man oftmals verschämt, das Wort in den Mund zu nehmen. Der lupenreine Kanzlerin-Podcast von Frau Dr. Merkel wird in den Medien stets immer nur als die »wöchentliche Videobotschaft« zitiert. Ein zu großes Fass würde man mit dem neumodischen Wort »Podcast« aufmachen, so scheint es.

Zwischenfazit: Der Begriff »Podcast« ist zwei Dritteln der Bürger nicht bekannt. Wer ihn kennt, der ordnet ihn mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit falsch ein.

Todesursache Nr. 2: Podcasts verlieren gegen Blogs

Äpfel und Birne soll man nicht vergleichen, dennoch liegt es hier mehr als nahe: In Deutschland sind Blogs und Podcasts fast zeitgleich in der Mainstream-Medienberichterstattung angekommen, vielleicht haben Blogs ein halbes Jahr Vorsprung. Auf jeden Fall steht außer Frage, welches der beiden Medien die auf Dauer größere Relevanz besitzt: Blogs arbeiten mit Vernetzung, Blogs sind durchsuchbar, Blogs können statistisch aufbereitet werden, Blogs können einen PR-Gau anrichten, usw. Tja, ein textbasiertes Medium hat es eben leichter, weil Texte semantisch erfasst, atomisiert, neu zusammengesetzt, woanders wiederverwendet und natürlich verlinkt werden können. Das macht sie flexibel und mächtig.

Blogs sind durch Kommentare und Trackbacks auch noch interaktiv. bei Podcasting ist der Weg zum Mitmachen durch den zeit- und ortsunabhängigen Konsum schwierig. (Eigentlich ist Podcasting gar kein richtiges Web2.0, weil die Vernetzung fehlt.) Natürlich gibt es Mischformen: Blogs, die ab und zu einen Audio- oder Videobeitrag bringen, auf den dann auch iTunes anspringt und ihn herunterlädt. Aber dies ist eher die Ausnahme. Die Nutzungssituation ist einfach eine andere. Blogs sind das Web-Medium Nummer Eins. Podcasting nutzt das TCP/IP-Protokoll nur als schnöden Übertragungskanal von Dateien.

Zwischenfazit: Wenn ich der Welt etwas Wichtiges mitzuteilen habe, dann schreibe ich das in mein Blog, dann wird das auch zeitnah gelesen und diskutiert. Ein Podcast verbreitet seine Inhalte zu langsam und ist zu umständlich in die vernetzte Webkommunikation eingebunden.

Todesursache Nr. 3: Der Unterwegs-Mythos

Glaubt man der zweiten Podcastumfrage von Alex Wunschel (und das sollte man tun), dann ist ganz klar: Die meisten Hörminuten verbringen die Podcast-Nutzer nicht etwa unterwegs mit ihrem iPod, sondern selbstredend zu Hause am Monitor.

Die Idee, dass man sich jeden Morgen seinen mobilen MP3-Spieler mit den frischesten Podcasting-Sendungen vollknallt und diese dann auf dem Weg zur Arbeit hört, ist definitiv überbewertet worden. Selbst als ich bis vor kurzem noch jeden Tag 75 Minuten Pendelzeit hatte, habe ich mir höchstens alle drei Wochen eine große Ladung an Sendungen auf den iPod gespielt. Von Aktualität war da keine Rede mehr – die ganzen Gewinnspiele waren immer längst vorbei.

Doch selbst wenn man sehr diszipliniert ist: Das regelmäßige Bestücken des MP3-Players mit frischen Tracks ist ganz schön aufwendig. Immer noch. Denn obwohl aktuelle Geräte inzwischen mit WLAN-Fähigkeiten daherkommen, sind sie nicht in der Lage, sich die Daten direkt aus dem Netz zu ziehen. Immer noch muss man den nervigen Umweg über den Rechner gehen, auf dem iTunes oder Juice zu laufen hat. Selbst ich als Mega-Enthusiast und Technikfreak habe da nicht immer Bock drauf. Wie soll es dann zum Mainstream werden?

Darüber hinaus halten es die HiFi-Hersteller immer noch nicht für nötig, in ihren Autoradios eine schlichte Klinkenbuchse an der Frontseite anzubringen, die es einem maßgeblich erleichtern würde, Podcasting im Auto zu hören. Krückenlösungen mit FM-Sender taugen nichts, und proprietäre iPod-Anschlüsse in hochpreisigen Automodellen sind auch nur bedingt zuträglich.

Zwischenfazit: Unterwegs Podcasts zu hören ist immer noch ziemlich aufwändig und anstrengend. Dies ist kein würdiger Zustand und verhindert den Durchbruch des »anywhere, anytime«-Gedanken!

Todesursache Nr. 4: YouTube

Ende 2004 ist Podcasting so richtig gestartet, und bereits im Februar 2005 ging dann YouTube ans Netz, wieder einige Monate später viele, viele Nachahmer. YouTube hat mit dem ursprünglichen Podcasting eigentlich fast gar nichts zu tun:

  • Es gibt keine RSS-Feeds und keine downloadbaren Dateien
  • Die Videos sind im Flash-Format und von daher exklusiv im Browser abspielbar (wenn man nicht tricksen möchte oder kann)
  • Weite Teile der Videos sind Einzelbeiträge und/oder Mitschnitte aus dem Fernsehen

Natürlich gibt es in der YouTube-Szene eine Menge an hochgradig gut gemachten, regelmäßig erscheinenden Videoblogs, die locker auch als Podcasts (nach der alten Definition) durchgehen würden. Aber irgendwie juckt das niemanden mehr. YouTube guckt man am Rechner, und wenn man einen Dreiminüter zu Ende geguckt hat, ist der nächste nur einen Mausklick entfernt. Dies ist nicht das Konzept von Podcasting, wo man sich bestimmte Kanäle auswählt, diese automatisch runderladen lässt und irgendwann später offline guckt.

Obwohl es unterschiedliche Nutzungssituationen abdeckt, hat YouTube (und seine Nachahmer) ganz erheblich dazu beigetragen, dass Podcasting in Vergessenheit geraten ist. Es kann eben nur eine kleine Menge an multimedialen Internet-Techniken geben, die gleichzeitig »in« sind und den Mainstream beherrschen.

YouTube ist (im Gegensatz zu Podcasting) einfach zu bedienen, kurzweilig, zentralisiert, unkompliziert und unverbindlich. Offenbar sind das die Attribute, die zählen. Das merken auch einige große Consumer-Marken und bauen sich eigene, marketinggeschwängerte Online-Videoplattformen wie beispielsweise bmw-web.tv, eine Art Mini-YouTube, ausschließlich für Werbe- und Imagevideos des bayerischen Automobilherstellers. Hätten die sich mit einem ollen Corporate Podcast zufrieden gegeben, für das man regelmäßig Inhalte produzieren muss? Nein. Eine Kampagne ist ein einmaliges Ding, laufende Kosten und Mühen, die bei einem Podcast anfallen würden, sind unerwünscht.

Ganz böse verhält es sich mit Sevenload. Der deutsche YouTube-Klon bietet auf der Plattform eine Reihe Podcasts an, die ihren Namen nicht verdienen. Sie bestehen aus populären, echten Podacsts, die per Feed auf Sevenload aggregiert werden und dort per Flashplayer angehört werden können. Doch die Feedadresse wird nicht auf Sevenload hinterlegt, genausowenig wie ein Download-Link. Dafür muss man dann auf die originale Podcasting-Seite gehen (wenigstens hier hat man sich zu einem Link hinreißen lassen), auf der es dann die gleichen Inhalte plus Feed plus Download-Link gibt. Hier sieht man, wie auf den Plattformen das Online-Anhören gepusht, während das orts- und netzunabhängige Hören erschwert wird

Zwischenfazit: Das Zeitbudget für multimediale Inhalte aus dem Netz ist begrenzt. YouTube und Co. haben ihren Teil eingefordert und es sieht so aus, als ob das ursprüngliche Podcasting darunter gelitten hat, bevor es richtig groß werden konnte.

Todesursache Nr. 5: Stagnation der privaten Szene

Was waren wir high! Es wurde Brecht zitiert, der Bürgerfunk aus der Mottenkiste geholt, Demokratisierungs-Revolutionen heraufbeschwört und so weiter. Nachhaltig umgewälzt wurde dann alles in allem nicht viel. Annik Rubens herzt sich weiterhin tapfer durch Schlaflos in München, Thomas Wanhoff schwadroniert immer noch über die Wunderbare Welt der Wissenschaft und die Podparade sammelt unvermittelt das Beste aus der gemafreien Musikwelt.

Natürlich gibt es auch neue Shows von neuen Leuten. Natürlich liest man, dass die Gefühlskonserve einen Preis bei den BOBs gewinnt. Und selbstverständlich behauptet niemand, dass die privaten Podcast-Macher nicht wahnsinnig viel Freude mit ihren kleinen Projekten haben. Aber wichtig, groß oder global relevant ist das alles nicht. Die Zahl der aktiven Podcast-Sendungen liegt bei unter 2000 Stück (derzeit knapp 1800 bei podster.de), und wenn mich nicht alles täuscht, war diese Zahl auch vor einem Jahr schon aktuell.

Es tut sich nichts Spektakuläres, Alltag ist eingekehrt. Ich finde Alltag nichts schlechtes. Aber im Falle von Podcasting ist der Hype zu schnell eingebrochen, als das irgendjemand sich an die vermeintlich glorreichen Tage erinnern können wird. Es ist nur folgerichtig, dass der Podcastverband vor einigen Wochen seine Auflösung bekannt gegeben hat. Wo keine Träume und Ziele, da kein Verband notwendig. Podcasting ist ein bilaterales Geschäft, das von Einzelprojekten einzelner Leute getrieben wird. Eine Community aus Machern zu bilden, die sich gegenseitig zu Höchstleistungen hochschaukeln, das ist gescheitert.

Zwischenfazit: Wer reich werden will, macht einen virtuellen Pokerschuppen auf. Wer berühmt werden will, braucht eine krasse Rockband und eine MySpace-Seite. Privates Podcasting eignet sich nicht für die große Welle.

Todesursache Nr. 6: Die etablierten Medien

Im August 2005 hieß es im Oxford Dictionary of English: »Podcast – digital recording of a radio broadcast made available on the internet for downloading to a personal audio player.« Die ganze Szene hatte sich zurecht darüber aufgeregt. Podcasting könne man nicht auf die Zweitverwertung von Air-Inhalten reduzieren, schließlich gäbe es eine riesige Menge an Produktionen, die exklusiv für das on-demand-Medium erstellt wurden, allen voran natürlich die privaten Amateursendungen (siehe oben).

Haben Sie mal einen Blick auf die aktuelle Top 100 der iTunes-Podcasting-Charts geworfen? Eben. Die damals falsche Definition ist nachträglich doch noch zu einer de-facto-Wahrheit geworden: Geschätzte 85 Prozent sind recycletes Material von Radiostationen und Fernsehsendern. Das war immer die Horrorvorstellung der frühen Podcaster: Dass unser schönes neues revolutionäres Bürgermedium zu einem stumpfen Verteilungskanal für die Häppchenkost aus dem etablierten Mainstream wird.

Zugegeben, dies ist nicht der Tod des Mediums, aber der Tod der dazugehörigen Aufbruchstimmung, was die inhaltliche und konzeptionelle Seite angeht. Immerhin sind dies aus technischer Sicht echte Podcasts. Das ist ja schon mal lobenswert. Das ZDF hingegen hat ja mit der neuesten Inkarnation seiner Mediathek eher auf das YouTube-Featureset geschielt. Online angucken: ja, Download oder RSS-Abo: nein. Es wurde leider darauf verzichtet, sämtliche Inhalte auch als Podcast zur Verfügung zu stellen; Man bietet nur bei ganz vereinzelten Sendungen einen extrem gut versteckten Podcast-Feed an, der aber nicht innerhalb der Mediathek verankert ist.

Nicht so hinterm Berg halten die Rundfunksender mit dem Wörtchen Podcast. Bei jedem halbwegs längeren Wortbeitrag heißt es am Ende, dass man dieses schöne Stück auch »als Podcast« nachhören könne. Lobenswert, auf jeden Fall! Gemeint ist natürlich, eine einzelne Datei anzuhören und vielleicht sogar runterzuladen. Ob die Moderatoren wohl wissen, dass man sich das auch abonnieren kann und damit den On-Air-Betrieb prinzipiell ablösen könnte, gerade bei nicht so aktuellen Wissensthemen? Nun gut, bleiben wir auf dem Teppich. Zweitverwertung hin oder her – die Radiostationen sind zumindest näher dran am Podcasting als viele andere.

Zwischenfazit: Podcasting als Sammelbehälter für komprimierte Funk- und Fernsehkonserven? Das hatten wir uns anders vorgestellt. Nun ist es so gekommen.

Gesamtfazit

Schon Wochen nach der Erfindung von Podcasting war vielen sonnenklar, dass sich der Begriff nicht halten würde. Dass Podcasting irgendwann in Form einer wie auch immer gearteten Software- oder Hardware-Blackbox verschwindet, wobei die Technik erhalten bleibt, es dem User aber egal sein kann, wie das zu funktionieren hat.

Offenbar sind wir noch nicht so weit. Wer wirklich zeitversetzt und offline konsumieren möchte, muss sich mit den Tücken der Technik auseinandersetzen. Der begriff Podcasting schwirrt immer noch sehr präsent durch die Radiostationen und PR-Agenturen, doch kaum jemand verwendet ihn korrekt.

Es ist ein diffuses Bild, das durch eine Mischung aus Unwissenheit, Marketing und Medienkonservatismus entstanden ist. Vielleicht steckt einfach zu wenig Geld im Podcasting, so dass kein Anreiz für die etablierten Medien besteht, das Thema wirklich groß und wichtig zu schreiben. Vielleicht ist die Hobbypodcasterszene nicht enthusiastisch genug gewesen, um Aufklärung und Wallung zu machen. Vielleicht ist es auch einfach unwichtig, wie und wann man Medien im Netz konsumiert, solange es irgendwie funktioniert. Vielleicht sollte ich mir nicht so den großen Kopf machen, sondern lieber regelmäßig meine zwölf Podcasts abrufen und anhören, und mich freuen, dass es sowas gibt.

Nur schade, dass nicht mehr Leute wissen, wie man Podcasting nutzt. Es ist ein tolles Medium, dessen ursprüngliche Idee völlig zu Unrecht so unbekannt ist, drei Jahre nach seiner Entstehung. Und das ärgert mich, wenn ich auch nicht wirklich weiß, was man anders oder besser machen könnte. Deshalb halte ich mich an die beste deutsche Tugend: Meckern! Ich hoffe, es war nicht zu lang. Dankes für die Geduld.