Spiegel Online bemüht sich stets ...

... aber wir alle wissen, was es mit dem Bemühen wirklich auf sich hat.

Um ein Haar hätte ich jetzt das neue Webdesign von Spiegel Online über den grünen Klee gelobt, weil es mir doch hier auf den ersten Blick extrem luftig, übersichtlich und zugänglich erschien. Doch dann merkte ich – zurzeit an einem fremden Rechner sitzend – dass dies komplett dem Adblocker zuzuschreiben war, der alle hässlichen Bildchen, Anzeigen und sonstige Grausamkeiten schön ausfilterte. Was übrig blieb, war schlichte Eleganz. Im ausgeschalteten Zustand des Adblockers hätte ich den Spiegel-Relaunch zunächst gar nicht bemerkt  …

Aber wir wollen mal nicht unfair sein, schließlich hat man sich beim Hamburger Nachrichtenjournal mit der lustigen Schwäche für Briefmarken-Flashvideos alle Mühe gegeben: Die »Blogger-BILD« ist nun von den Layoutelementen eindeutig besser proportioniert, Navigation und Inhalte sind klarer strukturiert, in der Typografie gab es keine Experimente (die auch nicht unbedingt notwendig waren), während sich im Quellcode einiges getan hat. Niemand erwartet bei einer solch fetten Seite, die mit einem sicher ebenso fetten und organisch gewachsenen CMS angetrieben wird, so etwas wie Validität, aber immerhin kann sich die Semantik im Quelltext halbwegs sehen lassen, wenn man natürlich auch über gewisse Dinge streiten kann. Die Pre-Headlines zum Beispiel als h4 auszuzeichnen, und dann die eigentlichen Artikel-Headlines als h3  … Naja, und ein DIV mit einem align=«center« muss ja auch nicht dringend sein, ebenso wenig wie die halbe Tonne JavaScript in der HTML-Datei. Aber man weiß ja, wie solche CMSe funktionieren – da kann man sich oftmals nicht aussuchen, wie da welche HTML-Tags exakt gerendert werden. Immerhin sind wir die Tabellen größtenteils los. Oder war das vorher auch schon?

Richtig schade hingegen sind die verpassten Chancen in Richtung Barrierefreiheit: Keine Skiplinks zu den Sinnabschnitten der Website, kein sinnvoller Umgang mit Schriftgrößen oder gar Schriftkontrasten, so gut wie keine Verwendung von alt- Tags Attribute, von title- Tags Attributen ganz zu schweigen. Da könnte einiges mehr gehen! Als blinder Surfer würde ich wahrscheinlich instinktiv zur Mobil-Variante tendieren!

Insgesamt scheint man hier und da ein ganzes Stück weiter zu sein als vorher, aber so ganz im Jahre 2006 ist man beim Spon noch nicht angekommen, die jetzige Website wirkt eher wie gefühltes 2004. Die Trennung von Inhalt und Präsentation wurde nur teilweise umgesetzt (Wo bleibt unaufdringliches JavaScript? Wieso gibt es noch die altertümliche Druckversion statt eines Print-Stylesheets?), während man sich im Gesamteindruck schon Mühe gegeben hat, modern und offen zu wirken. Die neuen Icons und Piktogramme sind nett anzusehen, die offenbar unvermeidlichen »Service-Angebote« wurden in einen handlichen, unauffälligen Kasten weit nach unten verbannt, und ernst zu nehmende Social Software-Elemente findet man zum Glück immer noch nicht. Sie würden auch entsprechend peinlich wirken. Spon ist nicht die Art von Website, die man sich zum Mitmachen wünscht. Man sollte auch das Forum und die Abstimmungen komplett streichen und lieber ein paar bessere Redakteure anstellen, aber jetzt gleite ich ab in eine andere Diskussion.

Mein Fazit: Unter höchstwahrscheinlich widrigen Umständen hat das Webdesign-Team von Spiegel Online eine handwerklich befriedigende Leistung gezeigt. Der Wille war vorhanden und hat auch zu einigen Verbesserungen geführt. Doch wenn man die Sache aus einem radikaleren und idealistischeren Gesichtspunkt betrachtet, sind doch eine ganze Menge Chancen zu einer grundlegenderen Verbesserung vertan worden, die auch durch vereinzelte Nachbesserungen wohl nicht aufgeholt werden können. Schulnote ist also eine eindeutige 3!