Ãœber Twitter

Schon unfassbar, was Twitter in den letzten vier Jahren so mit der digitalen Kommunikation angestellt hat, oder?

Noch im April 2008, geschockt vom heftigen Twittergewitter auf der re:publica, lasse ich die Welt wissen, wie doof ich das alles finde. Inzwischen aber kann auch ich längst nicht mehr leugnen, wie wichtig dieser absurd simple kleine Nachrichtenkanal für mich und meine Arbeit geworden ist. Ich glaube aber, dass es vielen genauso gegangen ist. Erst Unverständnis, dann Neugier, Übersättigung, am Ende Begeisterung.

Dabei muss man Twitter immer mit einem lachenden und einem weinenden Auge loben. Denn eigentlich ist es natürlich nicht so schön, dass gerade ein zentralistischer Dienst einer privaten Firma so eine Wallung macht. Im Interesse eines wirklich vernetzten Netzes wäre eine dezentrale Lösung an sich schöner gewesen. Aber als sich die ganzen Jabber-basierten Twitter-Alternativen soweit startklar gemacht hatten, war Twitter eben schon viel zu etabliert, um noch angekratzt werden zu können. Ein Schicksal, was wahrscheinlich Diaspora ebenso ereilen wird.

Aber das mal beiseite gelassen: Scheiße, was hat Twitter alles bewegt! Mal eben ein neues Paradigma erfunden, wie man sinnvoll mit Online-Kommunikation umgehen kann (asynchrone Follower statt zwangsbestätigte Freundschaften). Erschaffung einer neuen literarischen Gattung, irgendwie. Auf Twitter werden täglich hunderte von Wohnungen und Büros vermittelt, Fragen beantwortet, Witze gerissen, Promotion- und Einladungscodes verteilt, Memes verbreitet und vor allem: Aufmerksamkeit gelenkt durch menschliche Informationsfilter.

Dabei helfen die zusätzlichen Mechaniken, die die Nutzerschaft einst in Eigendynamik (und aus mangelbedingter Kreativität) erfunden hat, und welche dann vom Twitter-Team kongenial offiziell ins System eingepflanzt wurden – allen voran die Retweets. Durch Redundanz wird Relevanz erzeugt. So können Top-Themen, politische Stimmungen oder einfach lustige Sprüche erst so richtig sichtbar gemacht werden und gehen nicht unter.

Und nicht zuletzt setzt Twitter derzeit Maßstäbe im UI-Design: Einen Sack voll frischer Usability-Ideen in der offiziellen Twitter-Applikation für iPhone und iPad, und natürlich das neue Twitter für den Webbrowser.

Irgendwie haben die Jungs bisher alles richtig gemacht, und das will was heißen in dieser Branche! Selbst die eklatanten Serverprobleme der vergangenen Jahre hat man ihnen nicht wirklich krumm genommen, sondern eher mit liebevollem Blick bespöttelt. Trotz aller Begeisterung ist Twitter halt doch nur ein Nebenbei-Kanal ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder Seriosität. Niemand verlässt sich auf ein funktionierendes System oder macht gar sein Geschäft unmittelbar davon abhängig. Die spielerische Leichtigkeit und der Spaß gehören immer mit dazu. Ob das auch teilweise am demokratischen Grundgedanken liegt? (Jeder Twitterer – ob Ashton Kutscher oder der Hund meines Praktikanten – hat die gleichen lausigen 140 Zeichen für seine Botschaften zur Verfügung.)

Man weiß es nicht genau. Ich bin nur immer wieder verblüfft, was alles drinsteckt in diesem simplen Dienst, den man immer noch niemandem ernsthaft mit Worten erklären kann. Wer nicht seinen ganz persönlichen Twitter-Moment durchlebt hat, kann schlichtweg nicht »von außen« belehrt werden.

Das nur mal so meine Gedanken am Abend.