Der große Magazin-Reboot

Nur für den Fall, dass Sie die letzten Jahre unter einem Stein gelebt haben, sei zu Beginn noch einmal darauf hingewiesen, dass Zeitungen und Magazine im Internet bisher keine großen Geldsummen verdient haben. Jedenfalls nicht soviel, dass sich Online-Redaktionen mit einem gewissen Qualitätsanspruch von alleine finanzieren könnten (und vielleicht auch einmal im Jahr ihre Mitarbeiter schick zum Essen einladen könnten.)

Der Status Quo

Das hat natürlich Gründe und auch Folgen, wobei nicht immer klar ist, was in diesem Spiel was ist. Nennen wir beide deswegen der Einfachheit halber »Probleme«. Deren sind meines Erachtens in erster Line drei:

1. Nichtunterscheidbarkeit

Guckt man sich die Websites der großen Tageszeitung und Magazine an, so erkennt man kaum noch Unterschiede: Die gleichen Meldungen und Berichte in Einheitslayouts gegossen, die immer gleichen Bilderstrecken zum Durchklicken. Selbst Themenmagazine brechen nicht sonderlich aus dem Schema aus. Alle machen es wie Spiegel Online, das große Vorbild. Denn die erwirtschaften angeblich sogar ein paar Euros mit ihrer Website, die letztlich aber auch nur ein extrem weichgespültes tagesaktuelles Zerrbild des gedruckten Magazins ist. Wenn das schon der aktuelle Gold Standard in Sachen Nachrichten-Websites sein soll, kann man nur mit dem Kopf schütteln.

2. Niedrige Qualität

Über schlechte Qualität von Online-Medien ist schon viel geschrieben worden – und im Carta-Weblog erscheinen fast täglich lesenswerte Artikel darüber. Insgesamt lässt sich jedoch zusammenfassen, dass für höhere Qualität im Online-Bereich schlicht kein Geld vorhanden ist. Um dennoch kurzfristig ein paar schnelle Euros zu machen, werden die Themen reißerischer, die Klickstrecken absurder, und die gut geschriebenen, selbstproduzierten Stücke immer seltener. Für den langfristigen Aufbau von Qualität besitzt kein Verlag genug Durchhaltevermögen, zumal völlig unklar ist, ob sich mit Qualität am Ende auch wirklich Geld verdienen lässt.

3. Penetranz der Werbung

Trotz der jüngsten Bemühungen um diverse Bezahlmodelle: Derzeit sind Werbeeinnahmen das einzige nennenswerte Geld, was mit Zeitungen und Magazinen im Internet verdient wird. Es ist freilich viel zu wenig, um davon leben zu können. Die Preise sind im Keller, und eventuell könnten die oben beschrieben Punkte »Nichtunterscheidbarkeit« und »Niedrige Qualität« damit zusammenhängen. Doch wieder flüchtet man sich in Quantität: Mehr Werbebanner pro Seite, auffälliger animierte Werbemittel. Überall blitzt es und flackert es, und auch vor automatisch abgespielten Videos wird nicht Halt gemacht. Die Reißleine ist für die meisten Besucher die Installation eines Werbeblockers. Deren Beliebtheit ist nichts weiter als eine logische Konsequenz aus der mangelnden Bereitschaft der Verlage, sich eindeutig auf die Seite des guten Geschmack und der hohen Qualität zu schlagen – was sowohl den redaktionellen als auch den werblichen Teil der Publikation angeht.

Bezahlsysteme, mal wieder

Dass es so nicht weitergehen kann, hat inzwischen jeder Chefredakteur und Herausgeber erkannt. Doch in welche Richtung man sich grundsätzlich entwickeln möchte, während im Tagesgeschäft die Qualität jeden Tag ein bisschen mehr vor die Hunde geht, ist mehr als unklar.

Da sind zum einen die Befürworter von Bezahlmodellen. Ein weites Feld. Alle drei bis vier Jahre ändert sich nämlich in schöner Regelmäßigkeit die Auffassung darüber, ob man Geld für die Inhalte seiner Publikation verlangen kann. Ausschlaggebend ist meist – ganz pragmatisch -, wie es die New York Times zur jeweiligen Zeit handhabt. Vor ein paar Jahren machte diese ihr gesamtes Archiv offen zugänglich (die großen Mengen an Google-Besuchern und die dadurch gesteigerten Werbeeinahmen werden’s schon richten). Alle deutschen Verlage zogen nach. Hat jedoch wohl nicht funktioniert, das mit den gesteigerten Werbeeinnahmen. Die NYT rudert Anfang des Jahres zurück und lässt sich nun wieder bezahlen. Und was machen die deutschen Verlage? Klare Sache.

Nun ist das mit dem Bezahlen so eine Sache: Ich habe einmal versucht, einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung online zu kaufen. Einen 30-Zeiler, der mich 1,50 € gekostet hat und eine halbe Stunde meiner Zeit, weil der Bezahlvorgang so kotz-nutzerfeindlich war. Es wäre einfacher gewesen, einen Brief mit Füllfederhalter an die Redaktion zu schreiben und den Artikel als Fotokopie anzufordern.

Nicht, dass die Verlage daran schuld wären, dass in Deutschland kein ordentliches Micropayment möglich ist – aber ein bisschen mehr Flexibilität und Nutzerfreundlichkeit würden schon helfen. Völlig daneben sind selbstverständlich die sogenannten E-Papers, also im Grunde PDF-Dateien der regulären Printausgaben. Dass diese am Bildschirm quasi nicht konsumierbar sind (egal, wie groß oder hochaufgelöst dieser sein mag), ist allgemein bekannt. Die Gestaltung eines Layouts für ein bestimmtes Papierformat hat mit der Gestaltung für Bildschirme nur sehr wenig zu tun. PDF ist kein Endformat für Leser, sondern ein Austauschformat für den Druck.

Das hält den Axel-Springer-Verlag allerdings nicht davon ab, seine Qualitätspublikation DIE WELT als PDF auf Apples iPad anzubieten. Dieses Experiment wird logischerweise fehlschlagen, da müssen wir gar nicht drüber reden: Auch für das iPad müssen Print-Inhalte durch massive Anpassungen mediengerecht gemacht werden – unter anderem wegen seiner geringen Auflösung von nur 1024×768 Pixeln.

Dennoch müssen wir kurz bei Apple bleiben, denn eine Sache treibt das Verlagswesen schon seit geraumer Zeit um, nämlich das funktionierende Micropayment im iTunes Store / AppStore! Wer auch immer ein iPhone besitzt oder sich Musik bei iTunes herunterlädt, hat dort seine Bezahldaten hinterlegt und kann bargeldlos kleinere (oder größere) Geldbeträge bezahlen. Wenn das kein bequemes Ökosystem ist, um auch Zeitschriften zu verkaufen! Und jetzt kommt mit dem iPad auch noch ein Lesegerät, welches sich augenscheinlich hervorragend für das Lesen von Texten eignet.

Let’s talk about Apps

Auf dem iPhone hat es also angefangen (Bild, Süddeutsche, Spiegel), doch auf dem iPad wird es erst richtig losgehen: Magazine als Apps. Die Verlage umgehen komplett das öffentliche Web, liefern (hoffentlich) mediengerecht aufbereitete Inhalte und können über den AppStore bequem abrechnen, zu den fairen 70:30-Gebühren, die von Apple ja schon als De-facto-Standard für derartige Distribution etabliert wurden.

Und wieder einmal ist die New York Times das leuchtende Vorbild, diesmal sogar von Apple offiziell für gut befunden: Die App der NYT war eine der wenigen Third-Party- Anwendungen, die bei der ersten Vorstellung des iPads demonstriert wurden. Auf dieser Veranstaltung wurde zwar auch eine iBooks-Applikation von Apple gezeigt, doch diese ist tatsächlich nur für Bücher gedacht, nicht aber für regelmäßig erscheinende Publikationen. Und bis heute hört man in der Tat nichts von einer dedizierten iPad-Infrastruktur für solche Periodika.

Nun gut, derzeit suchen die meisten Verlage ihr Heil im Bauen und Verkaufen von iPad-Apps. Die genauen Preismodelle werden sich im Laufe der Zeit einpendeln, und man wird nach einem oder zwei Jahren sagen könne, ob es sich gelohnt hat. Und ich muss ehrlich sagen, dass ich nicht vorherzusagen vermag, ob die Rechnung aufgeht.

Möglicherweise ist den Tablet-Lesern der Komfort einer ruhigen, mediengerechten und nicht werbeverseuchten Publikation soviel Geld wert, dass sie gerne dafür bezahlen, und dies auch dann noch tun, wenn der große Hype und die Neugier nachgelassen hat. Sollte dies klappen, beglückwünsche ich die Beteiligten und freue mich auf tolle neue redaktionelle Ideen und Formate.

Andererseits werden die iPad-Apps auch in Zukunft immer die kostenlose Konkurrenz namens »Website« haben. Das freie, chaotische Web hat sich in der Vergangenheit stets gegen die aufgeräumten und kostenpflichtigen Walled Gardens duchgesetzt. Sollte es diesmal anders sein?

Für Verleger, die vielleicht einen anderen Weg einschlagen wollen, als sich mit Haut und Haaren einem bestimmten Computerhersteller zu unterwerfen und dessen Spielregeln zu befolgen, bietet sich mit dem iPad und anderen zukünftigen Tablet-Computern nämlich noch eine andere Chance auf einen erfolgreichen Reboot.

Magazin-Reboot

Im Gegensatz zu Helmut Schmidt glaube ich, dass Visionen eine feine Sache sind. Und meine Vision von einem zukünftigen Erfolgsmagazin sieht anders aus als die App der New York Times. Und sicher sehr viel anders als die peinlichen PDF-Versuche der WELT.

Dies sind die wichtigsten Eigenschaften:

1. Hochwertig

Auch wenn es weh tut: Online-Magazine brauchen die gleiche Sorgfalt und den gleichen Enthusiasmus wie ihre Print-Pendants, um erfolgreich zu sein. Das kostet Geld und Durchhaltevermögen, aber letztlich ist nur ein Qualitätsprodukt die richtige Basis, um damit Geld verdienen zu können. Schund gibt es überall kostenlos nachgeworfen. Das ist nicht der richtige Weg.

2. Mediengerecht

Tablet-Computer sind keine Laptops und auch keine DIN-A4-Magazine, sondern haben ganz eigene Regeln in der Bedienung. Wie genau diese aussehen, lässt sich wohl erst in ein paar Monaten sicher sagen. Vor allem die Frage, ob man die Inhalte auf blätterbare virtuelle Seiten aufteilt, oder beim webtypischen Scrolling-Konzept bleibt, kann derzeit nicht beantwortet werden.

Auf jeden Fall jedoch müssen Tablet-Magazine anders aussehen als die derzeitigen Websites. Deren große Stärke ist ihre Flexibilität; die Fähigkeit, auf den unterschiedlichsten Ausgabegeräten halbwegs zu funktionieren. Mit speziellen Tablet-Versionen haben wir jedoch die Möglichkeit, dezidierter auf bestimmte Hardware-Eigenschaften zu optimieren. Gerade was Seitenlayout und Schriftbild angeht, können wir viele Erkenntnisse, die wir im Print seit vielen Jahrzehnten gelernt haben, nun wieder anwenden, weil im Vergleich zum Web mehr Rahmenbedingungen festgezurrt sind: ungefähre Größe und Auflösung des Bildschirms, Leseabstand, usw.

Insbesondere die Agentur Bonnier AB hat mit einem cleveren Prototypen-Video und der jetzt verfügbaren iPad-Applikation für Popular Science ein paar kluge Ideen zu neuen Bedienkonzepten gehabt. Manches daran vermag zu gefallen, anderes überhaupt nicht, aber generell ist genau jetzt die Zeit, sich über genau diese Dinge Gedanken zu machen.

3. Werbefinanziert

Ich glaube, dass die Installation von Werbeblockern eher Notwehr ist als Gehässigkeit. Leser von Magazinen sind grundsätzlich bereit, sich Werbung anzuschauen. Voraussetzung: nicht zuviel und nicht zu laut. Es ist Zeit für einen New Deal zwischen der werbenden Industrie, den Online-Magazinen und den Lesern. Dieser könnte darin bestehen, komplett auf Animationen zu verzichten, die Größe der Werbefläche zu beschränken, und auch die Anzahl der gleichzeitig dargestellten Anzeigen zu reduzieren. Das Modell von The Deck macht es schon sehr radikal vor, auch wenn das derzeit nur für sehr kleine Publikationen praktikabel ist. Aber die Tendenz stimmt.

Das iPad unterstützt übrigens ganz konkret diesen New Deal: Im eingebauten Safari-Browser lässt sich einerseits kein Werbeblocker installieren, andererseites werden Flash-Anzeigen überhaupt nicht angezeigt. Anlass genug, um mal darüber nachzudenken, stilvolle Werbeplätze zu schaffen und diese zu höheren Preisen anzubieten. Warum nicht auf einem sechseitigen Artikel dauerhaft fixiert im rechten Viertel eine schicke Mercedes-Benz-Anzeige?

Mit einem Reboot der Online-Magazinkultur hat Werbung wieder die Chance, eine Bereicherung zu sein statt nur lästiges Flash-Gezappel!

4. Webstandards-basiert

Das Internet ist mehr als nur ein Transportkanal von geschlossenen, authentifizierten und bezahlten Datenströmen. Speziell das World Wide Web hat bereits bewiesen, dass es sich locker gegen geschlossene Systeme wie AOL oder Second Life durchsetzen kann. Die neuen Online-Magazine sind technisch gesehen ganz normale, offen zugängliche Websites – aber sie müssen freilich nicht so aussehen. Das Schöne daran: Dank der großen Leistungs-Sprünge, die die modernen Browser in den letzten Jahren gemacht haben, benötigen wir noch nicht einmal proprietäre Technologien wie Flash oder Silverlight, um eindrucksvolle Magazine für Touchgeräte umzusetzen.

Noch gibt es meines Erachtens kein wirklich anfassbares Beispiel für ein fertig umgesetztes HTML-basiertes Touch-Magazin, aber eine Menge an spannenden CSS– und JavaScript-Techniken lassen erahnen, dass so ein »Popular Science«-Magazin auch mit Webstandards möglich ist – zumal auf den meisten Tablet-Geräten ja eine leistungsfähige Webkit-Version vorhanden ist, die zu allerlei Spielereien fähig ist. Ich vermute, dass viele der jetzt erscheinenden Bezahl-Apps intern auch nichts anderes als Cocoa-Webviews verwenden werden, um Texte und Bilder zu platzieren. Und wenn schon Webviews, dann kann ich die ganze Sache doch gleich in den Browser verlegen, auf Vollbild schalten, und würdige damit den offenen Charakter des Internets.

Nebenbei bemerkt sind Dinge wie eingehende und ausgehende Hyperlinks generell eine gute Idee und sollten auch bei einem Magazin-Konzept eine Rolle spielen. Trotz des stärkeren »Produkt«-Charakters sollte man die Vernetzung mit dem Rest des Webs nicht aus den Augen verlieren.

Fazit

Wie sehr sollten sich digitale Publikationen einkapseln? Wieviel Offenheit verträgt das Geschäftsmodell eines Verlags? Kann man den Werbemarkt im Internet mit Qualität und neuen Endgeräten retten?

Ich weiß es nicht. Möglicherweise lässt sich mit geschlossenen Apps gutes Geld verdienen. Vielleicht ist ein frei zugängliches Web-Magazin im Tablet-Stil die bessere Alternative. Eines ist jedoch klar: Mit schrottigen Websites im Einheitsstil und aufdringlicher Werbung wird man sich schwer tun, die Krise zu überleben.

Und am Rande: Natürlich arbeite ich an einem HTML-basierten Magazin-Prototypen für das iPad. Doch wie sagt man so schön: Erst Ei, dann Gack.